Schubert, Fin de siècle und Neues
MUSIKTAGE MONDSEE / BENYOUNES QUARTETT
05/09/12 An sich sind die Kollegen vom Auryn Quartett für die Programmierung des kleinen, feinen Kammermusikfestivals in Mondsee verantwortlich. Für die Uraufführung der Auftragskomposition von Johanna Doderer überließen sie das Feld einem Nachwuchsensemble aus England, das sich –nicht nur damit – in die Herzen des Publikums spielte.
Von Horst Reischenböck
Doderer, der Name macht neugierig. Johannas Großonkel war tatsächlich der Schriftsteller Heimito von Doderer. Dieses Jahr ist sie „composer in residence“ und schuf dafür ihr viertes Streichquartett, ihr 82. Werk, das Dienstag (4. 9.) im Schloss Mondsee aus der Taufe gehoben wurde. Fünfzehn Minuten, in denen emotional harsche Akzente neben kantablen Linien stehen, gelegentlich abrupt in der Abfolge. Das ruft Assoziationen zu Leoš Janà?ek hervor, den einst Festivalgründer Andras Schiff vor nunmehr bereits 20 Jahren propagierte. Das Werk ist absolut dazu angetan, Vorurteile zeitgenössischen Klängen gegenüber auszuräumen. Die Musiker werden spieltechnisch auch nicht sonderlich überbeansprucht. An der spontanen Zustimmung durften sich Komponistin und Ausführende gleichermaßen freuen.
Die vier jungen Damen, benannt nach ihrer Primaria Zara Benyounes, fanden sich am Royal Northern College of Music zusammen und haben nicht zuletzt Feinschliff seitens Mitglieder des Alban Berg Quartetts erfahren. Sie haben schon einige Preise einheimsen können.
Gemäß dem diesjährigen Motto „Schubert und das Fin de Siècle in Wien“ stellten sie an den Beginn des Abends das Quintett für Klarinette (oder auch, wohl der besseren Vermarktung vom Komponisten selbst so vorgesehen, Viola) op. 102 von Robert Fuchs. Als Komponist ist Fuchs zu Unrecht in Vergessenheit geraten, aber als Lehrer zahllos nachmals berühmter Komponisten ist er in die Geschichte eingegangen. Darunter Gustav Mahler, Jean Sibelius, Alexander von Zemlinsky, aber auch Edmund Eysler, Leo Fall und Richard Heuberger. Johannes Brahms, der Fuchs übrigens hoch schätzte, wird das Bonmot nachgesagt: „Fuchs, die hast Du ganz gestohlen!“
Als das Klarinettenquintett entstand, knapp vor Beginn des 1. Weltkriegs, war Brahms kein Vorbild mehr. Dafür erinnern manche Passagen im eröffnenden Allegro molto moderato stark an den jungen Richard Strauss. Im Andante sostenuto, das auch Cellistin Kim Vaughan Gelegenheit zu gefühlvollen Beiträgen nutzte, denkt man gelegentlich an Edvard Grieg, wogegen es im Mittelteil des Allegro scherzando davor gehörig „böhmakelt“: feinsinnig, melodienreich, fast wie speziell für den exzellent und auch virtuos blasenden Mitstreiter Gerald Pachinger aus Reihen der Wiener Symphoniker erdacht, und damit nicht zuletzt auch in der Nachfolge Franz Schuberts stehend.
Schubert wurde mit „Der Tod und das Mädchen“ D 810, dem fast ausschließlich abgrundtiefen d-Moll-Streichquartett, Reverenz erwiesen, vom Benyounes Quartet entsprechend dramatisch aufgeladen, ohne dass deswegen die raren lyrischen Momente zu vernachlässigt worden wären. Eine auf ihre Weise anerkennenswerte, schlüssige Sicht.