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Ein Psychothriller auf der Opernbühne

REST DER WELT / DÜSSELDORF / DER FEURIGE ENGEL

15/06/15 Das Repertoiretheater trägt immer noch seine Früchte. Für Immo Karaman bietet die psychologische Handlung von Prokofjews posthum uraufgeführter Oper „Der feurige Engel“ eine ideale Spielwiese.

Von Oliver Schneider

Die Deutsche Oper am Rhein hat Grund zum Feiern, denn genau vor 60 Jahren besiegelten die Stadtoberen von Düsseldorf und Duisburg die erfolgreiche Musiktheater-Partnerschaft. Das darf man mit Blick auf die Geschichte sagen, auch wenn man in den letzten Jahren mehr von den finanziellen Nöten, die den Weiterbestand gefährden, als von künstlerischen Ereignissen spricht. Als mittelgroßes Opernhaus war und ist die Rheinoper ein Sprungbrett für Sängerinnen, Sänger und Dirigenten. Christian Thielemann hat hier in seinen Anfängen dirigiert; Trudeliese Schmidt, Hildegard Behrens, Manfred Jung und Thomas Hampson standen in jungen Jahren auf der Bühne und kamen zum Teil auch immer wieder zurück, nachdem sie längst Weltkarriere gemacht hatten. Und von den Jüngeren? Annett Fritsch, Norbert Ernst, Tomasz Konieczny und Linda Watson sind einige der Namen, welche die Opernwelt heute kennt.

Ihren Ruf hat sich die Deutsche Oper zweifellos auch wegen ihres Balletts erworben, das heute von Martin Schläpfer geleitet wird, der die erfolgreiche Arbeit seiner Vorgänger Erich Walter, Heinz Spoerli und Youri Vámos fortsetzt.

Die Rheinoper ist noch immer ein gutes altes Repertoiretheater, was es dem Hausherren Christoph Meyer ermöglicht, dem Publikum eine Vielzahl von Regiehandschriften zu präsentieren. Da findet sich (auch hier!) immer noch ein plüschiger Rosenkavalier von Otto Schenk im Programm wie ab nächster Saison eine Arabella von Tatjana Gürbaca. Der in Deutschland hoch gehandelte deutsch-türkische Regisseur Immo Karaman hat schon mehrfach am Rhein gearbeitet. Am letzten Samstag hatte seine Inszenierung von Sergej Prokofjews „Der feurige Engel“ Premiere, bei der leider etliche Plätze leerblieben.

Wer den lauen Sommerabend am Rhein der Aufführung vorzog, hat aber etwas verpasst, steht die Oper nach dem Roman von Walerie Brjussow doch nicht so häufig auf den Spielplänen. Eigentlich schade, denn das Werk ersetzt jeden Psychothriller. Die von Dämonen heimgesuchte Renata fühlt sich seit ihrer Kindheit innig mit einem Engel verbunden und sucht diesen auf Erden. Dabei gerät sie in die Fänge der Inquisition.

Karaman verlegt die Handlung in eine psychiatrische Heilanstalt zur Zeit der Uraufführung in den fünfziger Jahren (im Original spielt sie an einem solchen Ort im Mittelalter, wo die Kranken von den pflegenden Schwestern immer wieder brutal gezüchtigt werden). Die Ärzte interessieren sich vor allem für die bei Anfällen versterbenden Patienten, deren Gehirne und sonstigen Organe sie mit widerlichem Sadismus sezieren. Unweigerlich wird man dabei an die damals noch nicht lange zurückliegenden Grauen in Deutschland erinnert.

Renata quälen die Ärzte mit sinnlosen Elektroschocks, um ihr die körperlichen Begierden auszutreiben. Ruprecht, der neu in die Anstalt eintritt, will ihr helfen, wird aber stattdessen in ihr Schicksal hereingezogen. Er schlüpft ganz in ihre Rolle, nachdem sie bei einer ihrer Wahnvorstellungen vom Inquisitor auf ewig verdammt wird. Ruprecht übernimmt die Schuld für die im Auge der Kirche sündige Lust und verfällt dem Wahn, während Renata zur helfenden Schwester wird. Er bleibt zurück in der düsteren Heilanstalt, für welche die heute zum großen Teil verfallenden Beelitz-Heilstätten bei Berlin als Vorbild dienten (Bühne: Immo Karaman und Aida Leonor Guardia).

Svetlana Sozdateleva, die für ihre Interpretation der Renata an der Komischen Oper Berlin im Januar 2014 für den Faust-Preis nominiert war, gibt eine hoch emotionale Wahnsinnige, fokussiert und mit gut verblendeten Registern. Den intensivsten Moment erreicht sie gleich im ersten Akt in den deklamierenden Passagen, wenn sie Ruprecht vom Engel und von ihrer Liebe zu Graf Heinrich erzählt. Nur ihre Höhen klingen zuweilen etwas angestrengt, was aber bei der fordernden Partie nicht unverständlich ist. Ähnlich einer Elektra steht sie die ersten drei Akte – rund 90 Minuten – fast permanent auf der Bühne. Boris Statsenko als Rupecht mit seinem ausdruckstiefen Bariton nimmt man das aus Liebe zu Renata wachsende Helfersyndrom und den Wandel vom ungläubigen Beobachter zum wahnsinnig werdenden Mitleidenden in jedem Moment ab.

Als Äbtissin, die von Karaman als skrupellose Aufseherin gezeichnet ist, beherrscht die Bayreuth-erfahrene Susan MacLean mit ihren Auftritten die Bühne. Das Gleiche gilt für Renée Morlocs Wahrsagerin, die in dieser Inszenierung auch zu den Kranken gehört.

Weitere Ensemblemitglieder in Klein- und Kleinstpartien, Chor (Einstudierung: Christoph Kurig) und Statisterie haben ebenso Anteil am Gelingen des Abends wie die Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung von Wen-Pin Chien, der über die musikalisch gegensätzlichen, rasch aufeinanderfolgenden Szenen einen grossen Bogen legt.

Weitere Vorstellungen bis 28. Juni – www.operamrhein.deAb 29. Oktober bringt die Bayerische Staatsoper München ebenfalls eine Neuinszenierung von Prokofjews Oper „Der feurige Engel“, mit Vladimir Jurowski am Pult. Regie führt dort Barrie Kosky – www.staatsoper.de
Bilder: Deutsche Oper am Rhein / Hans Jörg Michel

 

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