Matthias Hartmann ist wieder künstlerisch unterwegs
REST DER WELT / GENF / FIDELIO
16/06/15 Nach dem Rauswurf am Wiener Burgtheater hörte man von Matthias Hartmann nur noch etwas im Zusammenhang mit den juristischen Nachspielen. Jetzt meldet er sich mit (seinem ersten) Fidelio aus Genf als Regisseur zurück.
Von Oliver Schneider
Künstlerisch war Matthias Hartmann weder in seiner Zeit in Zürich Zürich noch in Wien umstritten, zumindest beim Publikum. Die Häuser waren voll. Es gelang ihm, abwechslungsreiche Spielpläne mit einer Vielzahl von Regiehandschriften zu gestalten. Auch seine eigenen Arbeiten lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Jetzt, ein Jahr nach seiner Entlassung in Wien, hat er den nötigen Abstand und die Ruhe gewonnen, um wieder Regie zu führen. Am Genfer Grand Théâtre, dem zweiten Schweizer Opernhaus nach Zürich. Fern ab von seinen bisherigen Wirkungsstätten und ein bisschen in der Kunstprovinz, was wohl für den Neustart gut so ist.
Hartmann ist kein Bilderstürmer, will sein Publikum nicht provozieren, sondern abholen und zum Mitdenken anregen. Das Regieteam hat als Handlungsort ein Video-überwachtes Gefängnis gewählt, in das sich Leonore, wie eh und je als Mann verkleidet, einschleust, um ihren zu Unrecht festgehaltenen Gatten Florestan zu befreien (Bühne: Raimund Orfeo Voigt, Kostüme: Tina Kloempken). Gespielt wird in einem grauen Einheitsraum, in den die wechselnden Handlungsorte als Kammern von der Seite, von oben oder unten hereingefahren werden. Im Gegensatz zu dieser funktionalen Moderne steht der Ort, an dem Don Pizarro seinen Widersacher Florestan in Ketten gefangen hält: ein archaisch anmutendes Verließ unter dem Gefängnis, in das man nur vorsichtig herabkletternd über ausgetretene Steinstufen gelangt.
Die Bühne bietet nichts Spektakuläres, dafür einen idealen Spielraum. Hartmann besitzt genügend Theater- und Musiktheatererfahrung, um den vertrackten Fidelio mit dem Singspiel- und dem Dramastrang hier zu einem spannenden Abend werden zu lassen, an dem die Humanität und die Liebe schlussendlich über Gewalt, Hass und Unterdrückung obsiegen. Leonore, Rocco, Pizarro und Florestan sind archetypische Charaktere, die in der Geschichte immer wiederkehren.
In Genf steht ein ordentliches, spielfreudiges Sängerteam zur Verfügung. Allen voran muss Albert Dohmen als Kerkermeister genannt werden, der die unterschiedlichen Seiten von Roccos Charakter hervorragend darzustellen weiß. Am singspielhaften Beginn ist er (vielleicht ein bißchen zu stark) der onkelhafte und umsorgende Vater, dann später im Duett mit Pizarro der scheinbar Angepasste in Pizarros Gewaltregime, der aber immer von Zweifeln geplagt wird. Diese gewinnen dank Leonores Stärke bis zur Ankunft des Ministers die Oberhand in seinem Handeln, so dass er zum überzeugten Mit-Befreier neben Florestans starker Frau wird. Am Grand Théâtre ist das Elena Pankratova, die vor rund eineinhalb Jahren in München als Färberin in Strauss‘ „Frau ohne Schatten“ für Furore gesorgt hatte. Als Leonore punktet sie mit ihrem hochdramatischen Fundament und gut verblendeten Registern. Mehr Mühe hat sie verständlicherweise mit den Dialogen, die aber zum Glück geschickt zusammengekürzt sind. Ihre Leonore ist von Anfang an unglaublich stark, die sich auch von einem Pizarro nicht einschüchtern lässt. Darstellerisch bleibt Detlef Roth im dunklen Anzug diesem Bösewicht auch nichts schuldig, indem er seine Macht mal drohend, falsch einschmeichelnd oder mit brutaler Gewalt ausspielt. Stimmlich hingegen ist er keine Idealbesetzung, weil er mit seinem lyrisch fundierten Bariton in den dramatischen Aufschwüngen zu stark forcieren muss, um seine Stimme zu verdunkeln.
Der zweite Rollendebütant des Abends ist Christian Elsner als Florestan, der den Kaltstart im zweiten Akt trotz einiger Höhenschwierigkeiten achtbar meistert und sich insgesamt für das erste Mal gut schlägt. Er ist übrigens im ersten Konzert der Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Yannik Nézét-Séguin im Rahmen der diesjährigen Salzburger Festspiele zu hören.
Solide Leistungen zeigen Siobhan Stagg als leichtgewichtige Marzelline und Manuel Günther als Jaquino, beide ehemalige Teilnehmer des Salzburger Young Singer Projects, und Günes Gürle als Don Fernando, dem Hartmann ein Stück weit auch das Deus ex machina-Hafte nehmen konnte. Das Schlussbild schließt unmittelbar an Leonores und Florestans „Namenlose Freude“ an. Die Gefangenen (gut einstudiert von Alan Woodbridge) und Fernando stehen gemeinsam am Verließrand und freuen sich ob des Siegs der Gerechtigkeit über das Böse.
Ans Pult des Orchestre de la Suisse Romande ist der frühere Chefdirigent Pinchas Steinberg zurückgekehrt. Überzeugen können die geschlossene, musikalische Linie insgesamt und der Verve, mit dem Steinberg und die Musiker spielen. Aber man hat Beethovens „Fidelio“ in den letzten Jahren schon transparenter und vor allem prägnanter gehört; irgendwie scheint die Zeit an Steinberg vorbeigegangen zu sein.
Beim Schlussapplaus – mit Bravos, aber nicht überschwänglich – zeigt sich Hartmann sympathisch bescheiden. Wie wird es mit ihm weitergehen? Mit zwei Inszenierungen an der Mailänder Scala (Freischütz) und Dostojewskijs „Idiot“ am Staatsschauspiel Dresden. Ach ja, und dann ist Hartmann auch noch künstlerischer Berater des österreichischen Privatsenders Servus TV.