Ballettstürme, Raumklänge und animalischer Sex
REST DER WELT / AMSTERDAM / HOLLAND FESTIVAL
24/06/14 Zehn Jahre lang verlieh Pierre Audi dem Holland Festival seine ganz spezielle Handschrift, 2014 nimmt er Abschied. Audi ging es immer besonders um Grenz- und Genreüberschreitungen, er wagte sich an vermeintlich unaufführbare Stücke und brachte häufig völlig heterogene Künstlerteams zusammen, oft mit Erfolg. Zum Finale ist Audi erneut eine brillante Mixtur gelungen.
Von Jörn Florian Fuchs
Mit der Ballett-Uraufführung „The Tempest“ von Krzysztof Pastor brauste William Shakespeares spätes Stück durch das Amsterdamer Muziektheater. Prospero auf seiner Insel wird verdoppelt, ein älterer Mann mit persischer Handtrommel sitzt unter einem kahlen Baum oder wandert über die leere Bühne. Der Titel gebende Sturm findet gleichsam in seinem Kopf statt, er reflektiert sein Leben und lässt eben jene merkwürdige Geschichte um Caliban, Miranda, Ferdinand und Ariel Revue passieren. Die iranische Künstlerin Shirin Neshat hat einen Schwarz-Weiß-Film gedreht, der mal die Insel abbildet, mal Figuren aus dem Kosmos des Stücks andeutet. Pastors Choreographie besticht durch die Verbindung von klassizistischer Formsprache und derwischartigen Interventionen. Musikalisch geht die Reise vom Barock in die Gegenwart, mit Werken von Thomas Tallis und Henry Purcell, aber auch des 1970 geborenen Michel van der Aa.
Beeindruckte bei „The Tempest“ vor allem der visuelle Raum, so waren bei der umfangreichen Luigi-Nono-Hommage äußerst wachsame Ohren gefragt. „Prometeo“, die Tragödie des Hörens, oder „Il canto sospeso“ – hier „verarbeitete“ Nono Abschiedsworte zum Tode Verurteilter – gab es in bestmöglicher Besetzung und Wiedergabe. Als noch spannender erwiesen sich jedoch mehrere sogenannte „Nono Interventions“. In der Fußgängerpassage des Rijksmuseums jagten Studenten Nonos Partituren durch den elektronischen Reißwolf, das Ergebnis wurde zum aufwühlenden Hörparcours zur Mittagsstunde, mit vor allem zufällig herein geschneitem Publikum!
Pierre Audi liebt ja solche Experimente und Genresprengungen. Auch die Wiederbegegnung mit Philip Glass' Oper „The CIVIL warS – Rome“ zählt dazu, obwohl Dennis Russell Davies ganz brav am Pult der Niederländischen Radiophilharmonie stand und das Ganze im Muziekgebouw stattfand. Glass und sein Librettist Robert Wilson führen hier ein schillerndes Panoptikum vor, die Witwe von Abraham Lincoln denkt über Leben und Tod nach, der italienische Freiheitskämpfer Garibaldi droht: „Roma – o morte!“ Schließlich treten noch griechische Helden auf... Glass' irisierende Klangflächen, die oft von sehr opernhaften Kantilenen transzendiert werden, betören nach wie vor und das Fehlen einer Regie vermisst man kaum, ihre haptische und szenische Wirkung entfalten die „CIVIL warS“ auch so.
Und dann gilt es noch von einer wirklich völlig absurden Angelegenheit zu berichten. Kann man tatsächlich eine Performance zum Thema Sex im Tier- und Pflanzenreich machen? Man kann beziehungsweise Isabella Rossellini kann es, wie sie es ja auch schon in ihrer Kurzfilmreihe „Green Porno“ bewiesen hat. Unter dem Titel „Bestiaire d'amour“ zeigte sie, was sich da alles so tut. In rund 70 Minuten erlebte man den Hollywoodstar real und auf der Leinwand in unterschiedlichsten Kostümen, etwa als homosexuellen Delphin oder Hamster, der seine überzähligen Kinder frisst. Nicht nur die Darstellung von Medea im Haustierreich hätte einen Oscar verdient!