Die zwei Seiten des Wagner-Gesangs
REST DER WELT / GENF / WALKÜRE
13/11/13 Was sich bei der „Rheingold“-Premiere im März abzeichnete, bestätigt sich nach der „Walküre“: Dieter Dorns erster „Ring des Nibelungen“ in Genf wird nicht als Meilenstein in die Interpretationsgeschichte eingehen.
Von Oliver Schneider
Aber es ist (bis jetzt) eine über weite Strecken eine solide, handwerklich tadellose und zeitlose Nacherzählung. Die Nornen mühen sich wiederum ab, zu Beginn der ersten beiden Akte das Schicksalsfaden-Knäuel über die Bühne zu rollen, die Jürgen Rose in dunklen Farben sparsam bebildert hat. Mit der Weltesche im ersten Akt und verschiebbaren Wand- und Spiegelelementen, die mal Hundings Hütte, mal das Felsengebirge oder den Walkürenfelsen andeuten. Wenn Wotan seiner Lieblingstochter Brünnhilde das von Fricka aufgezwungene Schicksal Siegmunds verkündet, bilden sie ein Spiegelkabinett als Symbol für Wotans Machtverlust und den Niedergang der Götter.
Dorn und Rose nehmen Wagners Text wörtlich. Pferde werden von der Statisterie imitiert, Grane wird Brünnhilde im Spielzeugformat hinterher getragen. Zum Walkürenritt ziehen die acht Damen (sehr achtbar gesungen) ihre letzten Opfer auf die Bühne. Nichts Neues, aber kann man einem Regisseur das bei der umfangreichen Interpretationsgeschichte zum Vorwurf machen?
Dank Dorns Personenführung entsteht zwischen den Protagonisten immerhin ein intensives Kammerspiel, von dem keine zusätzlichen Bilder und Deutungen ablenken. Vieles ereignet sich am Bühnenrand, was der Textverständlichkeit in den vielen Parlando-Stellen zugutekommt. Nur das Dramolett zwischen dem Götterpaar Wotan und Fricka deckt Mängel in der Diktion auf, die durch eine Übertitelung auch in deutscher Sprache behoben werden könnte. Die Genfer Oper beschränkt sich auf die französische und englische Übersetzung.
Gegen Ende des dritten Akts stellen sich schauspielerische Ermüdungserscheinungen ein; das Kammerspiel mutiert ein wenig zum Rampensingen, was zumindest bei Tom Fox als erfahrenem Wotan auch mit seiner sängerischen Kondition zu tun haben dürfte.
Auf der Höhe der Zeit ist, was Ingo Metzmacher mit dem Orchestre de la Suisse Romande aus dem Graben hören lässt, das übrigens – wie in Bayreuth – ohne Auftrittsapplaus einsetzt. Mag die anfängliche Sturmmusik noch etwas wattig distanziert klingen, so sorgen Metzmacher und die Schweizer Musiker in der Folge für einen durchsichtig modulierten Klang, der einen das Werk ähnlich wie Kirill Petrenko in Bayreuth neu entdecken lässt. Metzmacher entwickelt die musikalische Textur aus dem Wort heraus: Er nimmt das mit heller, klanglicher Schönheit aufwartende Orchester – mit kleinen Hängern im zweiten Akt – zu Gunsten der Sänger zurück. Mit der Folge, dass man dem erzählenden Charakter im ersten und zweiten Aufzug wunderbar folgen kann und die zum Teil nicht so großen Stimmen mühelos durchkommen. Selten hört man schließlich die raffinierte Klangarchitektur des Walkürenritts mit den springenden Rhythmen der Hörner und Fagotte so deutlich wie jetzt in Genf.
Sängerisch zeigt der Abend die zwei Seiten des Wagnergesangs. Auf der einen Seite der edel-timbrierte, lyrische und dabei erstaunlich kräftige Will Hartmann als Siegmund, der dank Metzmachers Rücksichtnahme auch die „Wälse“-Rufe mühelos meistert und sich perfekt in dessen Lesart einfügt. Michaela Kaune ist in diesem Setting seine adäquate, meist sicher leuchtende Schwester Sieglinde.
Auf der anderen Seite der mächtige Tom Fox in altbekannter Manier sowie die expressive Petra Lang als Brünnhilde. Für sie ist Durchschlagskraft kein Problem, und die relativ tiefe Tessitura kommt ihr entgegen. Auf die Dauer irritiert allerdings ihr Anstemmen der Töne.
Elena Zhidkova gibt wieder die souveräne Ehehüterin Fricka, die ihren Gatten mit ihren juristischen Trümpfen in die Enge treibt, Günther Groissböck einen misstrauischen Hunding mit fahler Schwärze und Wucht.