Seelenstürme und innere Nöte
REST DER WELT / OPERNHAUS ZÜRICH / IDOMENEO
01/03/10 Nikolaus Harnoncourts hat „Idomeneo“ bei der Styriarte 2008 in Graz selbt inszeniert. Nach Überarbeitung begeistert diese Produktion nun auch in Zürich.
Von Oliver Schneider
Mit Mozarts Sturm und Drang-Oper „Idomeneo“ eröffneten Nikolaus Harnoncourt und Jean-Pierre Ponelle 1980 ihren Zürcher Mozart-Zyklus. Dreißig Jahre später steht Harnoncourt nochmals in Zürich am Pult einer Neuinszenierung dieses Werks. So darf man es nennen, auch wenn es sich um eine Koproduktion mit der Styriate Graz handelt. Nicht nur die Adaption des schlichten Bühnenbilds im Schwarz-Weiß-Gegensatz von Rolf Glittenberg auf die Maße des intimen Zürcher Opernhauses machte es notwendig, die eineinhalb Jahre alte Inszenierung zu überarbeiten.
Harnoncourt hat seinen insgesamt dritten „Idomeneo“ selbst inszeniert, wenn auch mit Unterstützung seines Sohns Philipp, und betont dabei den Tragédie lyrique-Charakter. Instrumentale Divertissements und die abschließende Ballettmusik geben Raum für Balletteinlagen, welche die Tänzerinnen und Tänzer des Zürcher Balletts von Heinz Spoerli bravourös nutzen, um die Handlung weiterzuerzählen.
„Die Geschehnisse erzählen“, damit lässt sich die Regie der Harnoncourts umreißen. Sie beschränkt sich darauf, die seelischen Höhen und Tiefen der vier Protagonisten wiederzugeben: Idomeneo, sein Sohn Idamante, die trojanische Prinzessin Illia und ihre griechische Widersacherin Elettra: Das sind Archetypen, die zeitlose Konflikte durchleben.
Die Harnoncourts als Regisseure lassen Musik und Wort ihren Raum und setzen wohltuend sparsame szenische Akzente. Wenn zum Beispiel Idomeneo sein „Fuor del mar“ in der Koloraturfassung im zweiten Akt interpretiert, ist es folgerichtig, wenn sein tanzender Gegenspieler Neptun sein leibhaftiges Gegenüber ist. Immer wieder demonstriert dieser Neptun mit seinem Gefolge drohend seine Macht.
Stellenweise ist ein zu starkes Bebildern, ein unnötiges Verdoppeln zu bemängeln: etwa, wenn der als Blinde gezeichnete Arbace im dritten Akt vom Schicksalsbuch nicht nur singt, sondern es auch verkrampft in Händen hält. Dieser Akt wirkt ohnehin schwächer als der Rest, was nicht zuletzt auf das Weglassen der dritten Elettra-Arie zurückzuführen ist. Konsequent mag es sein, weil Harnoncourt sich für die Münchner Uraufführungsfassung entschieden hat, für die Handlungsauflösung ist es kein Gewinn.
Für Nikolaus Harnoncourt ist keine Opernaufführung Routine, auch eine Übernahmepremiere nicht, zumal er in Zürich am Pult des hauseigenen La Scintilla-Barockensembles steht. Ein exquisiter Klangkörper, der, zusammen mit dem Maestro, am Premierenabend (27.2.) beim Schlussapplaus zurecht den Löwenanteil einheimste.
Jede Note hinterfragt Harnoncourt, jedes Tempo: Auf kein Rezitativ möchte man verzichten. Die Solisten reüssierten mehrheitlich schon in Graz: Saimir Pirgu als Idomeneo mit belcantesker Klangschönheit, Eva Mei als selbstgefällige Elettra, Julia Kleiter als sensible Illia und Marie-Claude Chappuis als noch entwicklungsfähiger Idamante. Als Arbace ist Christoph Strehl mit leichter Verengung in der Höhe neu dazugekommen. Differenziert meistert der von Ernst Raffelsberger einstudierte Chor seinen Part.