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Kaufhaus-Liquidation zu Händel-Klängen

REST DER WELT / ZÜRICH / SALE

06/11/12 „Sale“ oder Ausverkauf, wie es früher einmal hiess, herrscht mittlerweile nicht mehr nur als Dauerzustand in den Konsumtempeln, sondern auch in Form eines zweistündigen, pausenlosen Händel-Pasticcios im Opernhaus Zürich. Dort ist Christoph Marthaler die späte, längst überfälligen Ehre der Regieführung zuteil geworden.

Von Oliver Schneider

Im Mittelpunkt steht ein in die Jahre gekommenes Kaufhaus, das vor vierzig  Jahren wohl den Hauch von Eleganz und Luxus atmete, jetzt aber vor der Totalliquidation steht. Ein weit verbreitetes Phänomen, wenn man durch die Innenstädte geht. Altmodische TV-Geräte, Kaffeemaschinen, Restposten Putzmittel, Stoffreste und Kleider auf Wühltischen sind für die sportlichen Schnäppchenjäger und die weniger Betuchten in der Gesellschaft noch geblieben, die zweimal wie wilde Horden ins Kaufhaus einfallen und alles kaufen, was sich als halbwegs brauchbar herausstellt.

Doch Marthaler und seine bewährte Crew – Anna Viebrock für die Ausstattung und Malte Ubenauf für die Dramaturgie – zeigen noch mehr. Die längst zur Alkoholikerin gewordene Noch-Kaufhauschefin hat nämlich ihre gesamte nähere und weitere Verwandtschaft zum Abschiednehmen eingeladen. Das Kaufhaus wird dadurch zum Symbol für die Vergänglichkeit des Lebens. Die Familienmitglieder reagieren, abwechselnd in Melancholie oder abwehrartige Raserei  verfallend, am Ende schließlich bewusst resignierend. Zur Verstärkung lässt das Regieteam Auszüge aus Edgar Allen Poes Erzählung „Die Maske des roten Todes“ von der Unaufhaltsamkeit der Pest rezitieren.

Bei der Zeichnung der Mitglieder der Kaufhaus-Dynastie und dem verknöcherten Liquidator bietet Marthaler die gesamte Palette an menschlichen Skurrilitäten auf, um dem Zuschauer den Spiegel vorzuhalten. Vom rasenden Alt-68er über eine dank Liftens jung gebliebene amerikanische Verwandte bis zum beamtenhaften Liquidator. Marthaler und sein Team spiegeln, was sie in der Gesellschaft beobachten. Nicht mahnend, sondern mit Humor.

Mit der Liquidation des Kaufhauses stirbt auch die Familie aus. Perfekt durchchoreographiert und immer musikalisch krümmt sich das Ensemble vor Schmerzen, wenn die Kaufhauschefin Anne Sofie von Otter bei „Pensieri, voi mi tormentate“ aus „Agrippina“unglaublich intensiv von den quälenden Gedanken singt. Doch die Hinterbliebenen verdrängen das unvermeidliche Ende rasch mit einem Champagner-Aperitif und einem festlichen Leichenschmaus, bei dem man sich selbst unbeschwert feiern kann.

Was würde zu so einem affektvollen Abend besser passen als ein Pasticcio aus Händel-Arien, Duetten, Chören und Instrumentalstücken, fast ohne Rezitative? Auch musikhistorisch lässt sich dagegen nichts einwenden, verwendete Händel seine Werke doch selbst oft mehrfach und scheute nicht davor zurück, Fremdes zu integrieren.

Für Kulinariker ist der Abend zumindest musikalisch ein Genuss. Unter Laurence Cummings liefert das Orchestra La Scintilla mit Originalklang-Instrumenten präzise Klangbilder von hoher Transparenz und organischer Dynamik. Malin Hartelius überzeugt mit dem weichen Ton von schillernder Farbigkeit ihres Soprans, der Countertenor Christophe Dumaux begeistert mit virtuoser Geläufigkeit, und Anne Sofie von Otter macht ihrem Ruf im Barockrepertoire alle Ehre. Jürg Kienberger darf für einmal sogar mit ihr duettieren, wobei sich seine Stimme als erstaunlich tragend erweist.

Die Buhs, die dem Regieteam nach der Premiere teilweise entgegen schlagen, stammten wohl von Besuchern, die nur Händel auf dem Programmzettel gesehen und den Namen Marthaler überlesen hatten. Immerhin war er einmal Schauspielhausdirektor in Zürich.

Weitere Vorstellungen bis 27. November - www.opernhaus.ch
Bilder: Opernhaus Zürich / T&T Fotografie / Toni Suter+Tanja Dorendorf

 

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