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Mega-Juwelen in Mini-Vitrinen

REST DER WELT / MÜNCHEN / „PRACHT AUF PERGAMENT“

31/10/12 Eine aus Bamberg entliehene „Apokalypse“ zählt ebenso zum Weltdokumentenerbe der UNESCO wie drei weitere Pracht-Codices: Ottos III. Evangeliar, Heinrichs II. Perikopenbuch und das Evangeliar aus dem Bamberger Dom. In dieser Zusammenstellung und Fülle wird dies alles, was hier zu bewundern ist, nie mehr irgendwo auf der Welt in Szene gesetzt werden. Das wäre schon aus konservatorischen Gründen unmöglich.

Von Hans Gärtner

Die wundervollsten Schätze, die die Bayerische Staatsbibliothek ihr eigen nennt, aber in einem Bunker verwahren muss und nie angemessen präsentieren kann, werden in Räumen gezeigt, die der Einzigartigkeit der Objekte voll und ganz Rechnung tragen.

Man schöpft für die Schau „Pracht auf Pergament. Schätze der Buchmalerei von 780 bis 1180“ aus dem weltweit größten Bestand an mittelalterlichen Handschriften überhaupt. 72 erlesene Stücke wurden ausgesucht, ergänzt durch drei aus der schwesterlichen Staatsbibliothek Bamberg. Sie werden im höchsten Standard der Museumstechnik, den die Hypo-Kunsthalle in Münchens vornehmem Fünf Höfe-Viertel nun einmal aufzubieten hat, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Doch brilliert in der vielräumigen, großzügig geschnittenen Hypo-Kunsthalle keineswegs die Technik allein. Es gelang auch, einen der Thematik des Außergewöhnlichen angemessenen Rahmen durch Feierlichkeit und Distanz erzeugende dunkelrot verkleidete Wände und intim beleuchtete Glaskästen zu schaffen. Jedes Buch darf einzeln, oft unterspiegelt (um die Einbände zu zeigen) und an einer bestimmten Stelle aufgeschlagen, prangen. Diese gewiss nicht fürs breite Publikum konzipierte Ausstellung durchschreitet der speziell an alten, sehr ehrwürdigen sakralen Büchern interessierte Besucher ehrfürchtig wie einen Sakralraum.

Die Werke – allesamt Mega-Juwelen, die in Mini-Vitrinen auf eigens angefertigten „Buchwiegen“ mit dem jeweils „subjektiv“ richtigen Öffnungswinkel liegen – umspannen den Zeitraum von der Karolingischen Renaissance über die Kunst der Ottonischen Kaiser (Otto der Große, Heinrich II.) bis zu den Handschriften aus namhaften bayerischen Klöstern und ihren Malschulen, ausgehend von Tegernsee, hinübergreifend auf die Insel Reichenau im Bodensee, dann vor allem aus St. Emmeram in Regensburg, aber auch aus Freising und Salzburg. Die Buchmalerei, so Kuratorin Claudia Fabian, sei zwar ins Zentrum gerückt (und dazu angetan, den Blick jeweils vornehmlich auf die „Bild“-Seite der aufgeschlagenen Bücher zu richten), doch handle es sich bei den insgesamt 75 Exponaten um so etwas wie Gesamtkunstwerke; zählen doch die  Einbände, geschaffen aus kostbaren Materialien wie gefassten bunten Edelsteinen, Emailmedaillons, Elfenbein und Perlen, nicht weniger dazu als die farbig gemalten, mit Gold unterlegten und mit Silber aufgefrischten Illuminationen sowie die mit ihnen in direktem Zusammenhang stehenden, in der Mehrzahl liturgischen Zwecken dienenden Texte.

Diese – ob Bibelstelle, Überlieferung, Beschreibung, Belehrung, Gebet oder theologische Erläuterung – und ihre bildhafte „Erhellung“ sind nahezu ausschließlich religiös motiviert. Es handelt sich vorwiegend um so genannte Evangeliare, Evangelistare, Sakramentare und Perikopenbücher. Auch ein Gebetbuch – brandaktuell nach der erst vor kurzem erfolgten Heiligsprechung durch Papst Benedikt XVI. – ist darunter zu finden, nämlich jenes der Hildegard von Bingen. Nur wenige Ausstellungsstücke verlassen die Sphäre der Heiliger Schrift und begeben sich auf juristische, medizinische, dichterische und musikalische Gefilde.

Die „Freisinger Denkmäler“ dienen über das Religiöse hinaus als älteste Belege für die slowenische Sprache. Alle gezeigten Stücke waren einmal so etwas wie Kultgegenstände. Sie dienten also nicht dem Alltagsgebrauch. Der Kontext, in dem sie stehen, ist beeindruckend. Das Gottesgnadentum der Herrscher, die „Heiligkeit“ der deutschen Kaiser, die die Bücher in Auftrag gaben oder denen sie gewidmet waren, ist aus beinahe jedem der präsentierten Stücke ablesbar. Das damalige europäische Weltbild, so erläutert Claudia Fabian, war geprägt durch die Einheit von Staat und Kirche. Die hohe Bedeutung und kaum zu überschätzende Rolle der Klöster für das kulturelle Erbe, das wir heute besitzen, geht aus ihnen unmittelbar hervor. Waren es doch Mönche, namenlos in aller Regel, die die Handschriften kunstvoll erstellten (keiner von ihnen hatte „künstlerische“ Ambitionen, besaß aber in hohem Maße künstlerische Fähigkeiten), sie illustrierten und, Initialen zumeist oder hervorzuhebende Textpassagen, mit Ornamenten verzierten – als Ausdruck der Verehrung und Huldigung des  sakrosankten Geschehens, das demonstriert wird.

Oft trifft man auf die vier Evangelisten Matthäus (mit dem Engel), Markus (mit dem Löwen), Lukas (mit dem Stier) und Johannes (mit dem Adler). Sie werden, in Haltung und Spannung den schreibenden und malenden Mönchen verwandt, als „scriptores“ und „pictores“ vorgeführt. Der herrschaftlich thronende Christus in der Mandorla, der von einem zischenden Drachen geleitete apokalyptische Engel, manchmal abseitige Szenen aus dem Alten Testament – da und dort verlassen sie den „Ernst der Lage“ und begeben sich auf witzige Art in einen subtilen Humor. Dem Besucher mit Bibelkenntnis erschließen sich neue Sichtweisen.

Ein rotgrünes Kreuz, das durch ein Flechtband in gleicher Farbkombination herausgehoben wird, ziert das durch seine Schlichtheit glänzende und zudem älteste in der Schau vertretene Werk, das Kaiser Karl der Große in Auftrag gegeben haben soll: die Tegernseer Benedikt-Regel.

„Pracht auf Pergament. Schätze der Buchmalerei von 780 bis 1180“, bis 13. Jänner 2013 in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München, Theatinerstraße 8 -  pracht-auf-pergament.digitale-sammlungen.de
Bilder: Bayerische Staatsbibliothek

 

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