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Offenbar am Plafond angekommen

REST DER WELT / LUCERNE FESTIVAL / NACHLESE

17/09/12 Das Lucerne Festival hat das facettenreiche Verhältnis zwischen Musik und Glauben ausgeleuchtet und geht mit einer Gastspielreise des Festival Orchestras unter Claudio Abbado mit einem umjubelten Start in Wien zu Ende. - Vielleicht zu teuer, vielleicht zu viel im Angebot: Es blieben jedenfalls heuer auch in Luzern viele Plätze leer.

Von Oliver Schneider

altMit drei Konzerten der Wiener Philharmoniker unter Bernard Haitink und Vladimir Jurowski endete auch in Luzern der Festspielsommer 2012. Zumindest auf Tournee ist noch das Festival Orchestra unter Claudio Abbado zu erleben. Am vergangenen Sonntag (16.9.) machte es im Wiener Musikverein mit Bruckners Erster und Mozarts G-Dur Klavierkonzert KV 453mit Maurizio Pollini als Solist Station. Das Konzert wird heute Montag (17.9.) wiederholt, bevor das Orchester weiter nach Moskau, Hamburg und Ferrara reist. Bei Mozart war jede Sekunde spürbar, dass Pollini und Abbado eine langjährige musikalische Freundschaft verbindet. Wunderbar innig und abgeklärt musizierten der Pianist und das Festival-Orchester miteinander. Bruckners Erste in der Wiener Fassung wurde dann zu einer wahren Sternstunde. So transparent, so schonungslos kantig, mit mächtigen Crescendi – vielleicht manchmal zu mächtigen für den Goldenen Saal – und so direkt hat man das Werk selten erlebt.

Bruckner gab es wie in Salzburg auch unter Haitinik, aber auch mit den Münchner Philharmonikern, die erstmals mit ihrem neuen Chefdirigenten Lorin Maazel in die Schweiz reisten, mit der „Wagner“-Sinfonie, der Dritten, in der letzten Fassung. Maazel dirigierte sie mit langem, ruhigem Atem vom einleitenden Misterioso bis zum finalen Allegro, er liess die Steigerungen nach Momenten der Gelassenheit organisch wachsen, so dass ein rundherum geschlossener Eindruck entstand. Auf die weitere Zusammenarbeit zwischen dem München-erfahrenen Maazel und den Philharmonikern darf man sich freuen.

Nicht nur in Salzburg blieb heuer so mancher Platz frei, auch in Luzern. Die Auslastung lag bei 90 Prozent, nur knapp ein Drittel der Veranstaltungen war ausverkauft. Liegen die Kartenpreise von bis zu 390 CHF (310 €) mittlerweile auch für Schweizer über dem Verträglichen? Oder ist das Angebot einfach zu stark gewachsen? 2013 wird es auf jeden Fall reduziert. Vielleicht blieben im zweiten Konzert des Koninklijk Concertgebouworkest Amsterdam unter Mariss Jansons aber auch deshalb Plätze leer, weil ausschließlich Werke aus dem 20. Jahrhundert auf dem Programmzettel standen. Zu Beginn erklang Schönbergs verknapptes Oratorium „A Survivor from Warsaw“. Das grauenvolle Ende in der Gaskammer, das die Ghettobewohner erwartet, kulminierte rhythmisch hart vom Orchester intoniert im immer hektischeren Abzählen der Todeskandidaten durch den berlinernden Feldwebel, bevor die dem Tod Geweihten Trost und Kraft im Hebräisch gesungenen Glaubensbekenntnis suchten. Sergej Leiferkus war der nicht immer ganz textverständliche Sprecher in dieser alles in allem Bedrückung auslösenden Wiedergabe, woran der Birminghamer CBSO Chorus (Einstudierung: Simon Halsey) seinen Anteil hatte.

18 Jahre vor Schönbergs Bekenntniswerk wurde Strawinskys Psalmensymphonie uraufgeführt, nachdem der russische Komponist in den Schoss der russisch-orthodoxen Kirche zurückgefunden hatte. Jansons und die Amsterdamer Musiker wussten die über die thematische Grundsubstanz verbundenen drei Sätze in ihrer Nüchternheit perfekt wiederzugeben. Samuel Barbers Adagio for Strings in seinem spätromantischen Duktus, für das die niederländischen Gäste einen flauschigen Streicherteppich ausrollten, zeigte die musikalische Bandbreite des vergangenen Jahrhunderts, bevor Jansons als regelrechter Klangbändiger von annähernd 150 Musikern durch das Auf und Ab von geballten, kraftvollen Entladungen, grelles Sirenengeheul und lyrische Ruhephasen in Edgar Varèseskontrastreichem Amériques führte.

Schönbergs „Moses und Aron“ erklang in einer konzertanten Aufführung des SWF Sinfonieorchesters, über dem das Damoklesschwert des Sparens schwebt, und der Europa Chor Akademie (ausgezeichnet einstudiert von Sylvain Cambreling und Joshard Daus). Mit der Frage, wie und ob man sich in den monotheistischen Religionen ein Bild von Gott machen darf, gehörte es zu den tragenden Säulen dieses Sommers. Es war eine Aufführung, die in ihrer Geschlossenheit und dank der Konzentration auf das Musikalische auch einer der Höhepunkte war. Da ist es unerheblich, dass die Wiedergabe schon in Berlin und Madrid zu hören war. Cambreling bewies am Pult seine hohe Kompetenz für die expressive Partitur, indem er die charakterisierenden instrumentalen Farben aufleuchten und wo nötig kammermusikalische Analytik walten liess. Im zentralen „Tanz um das Goldene Kalb“ löste er eine wahrhafte Entfesselung aus. Franz Grundheber überzeugte in der Partie des sprechenden Moses mit seiner ungebrochenen, stimmlichen Autorität und Andreas Conrad bewältigte mühelos die extrem hoch liegende Partie seines Bruders Aron mit seinem geschmeidigen Charaktertenor.

Auch ein Programmstrang für junge Menschen, pardon die gesamte Familie, gehört zum festen Bestandteil des Lucerne Festivals. Heuer produzierte man erstmalig mit dem Theater Basel szenisch Manuel de Fallas rund 40 minütiges „Meister Pedros Puppenspiel“, das auf einer Episode aus Cervantes‘ Don Quijote beruht. Der Ritter und sein Schweizerdeutsch sprechender Diener Sancho Panza besuchten genau wie das junge und nicht mehr ganz so junge Publikum Meister Pedros Puppentheater, in dem die Befreiung Melisendras, der Tochter Karls des Grossen, gespielt wird.

Buben und Mädchen der Luzerner Kantorei gestalteten ihren Vokalpart dank der sparsamen Instrumentierung rechtdurchschlagskräftig und spielten die Geschichte in der Puppen-Pantomime wie erfahrene Schauspieler.

Die Mitglieder der Festival Academy – junge Musiker, die jeweils drei Wochen lang mit ihrem Leiter Pierre Boulez oder anderen Dirigenten wichtige Werke des 20. und 21. Jahrhunderts erarbeiten – zeigten unter der musikalischen Leitung von Clement Power, welches Potenzial in ihnen liegt. Eine Festival Academy wäre doch auch etwas für Salzburg.

Ö1 überträgt das Konzert des Lucerne Festival Orchestras unter Claudio Abbado am 25. Dezember 2012 um 11.03 Uhr
Bild: Lucerne Festival / Monika Rittershaus

 

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