Lufthauch aus dem Ventilator
REST DER WELT / BAYREUTH / HOLLÄNDER
26/07/12 Eine große Übelkeit lag über dieser Festspielpremiere. Im Laufe des Abends kamen auch noch gewaltige Kopfschmerzen hinzu, sodass der Rezensent nur noch eines erhoffte: das rasche Ende!
Von Jörn Florian Fuchs
Die körperliche Malaise war jedoch keineswegs dem gedankenblassen Konzept von Regisseur Jan Philipp Gloger geschuldet Und natürlich auch nicht den insgesamt guten musikalischen Leistungen. Es war vielmehr eine so genannte „Hummerbratwurst“, die des Rezensenten Magensäfte und Blutzirkulation im Schädel beeinträchtigte. Ganze sieben Euro und fünfzig Cent kostete das gute Stück, das letzterer aus Kuriositätsgründen (unmittelbar vor dem ersten Aufzug) vertilgte. Auf die Frage, was genau drin sei, hieß es, na ja, logischerweise kein ganzer Hummer, vielmehr sei es eine gewöhnliche Wurst mit Hummerzusatz. Genau so schmeckte das Ganze denn auch.
F(r)isch gestärkt ging es hernach zur stürmischen Wagnerweihe, für die am Pult erneut Bayreuths Chef-Zampano Christian Thielemann höchst persönlich verantwortlich zeichnet. Er versteht den Holländer korrekterweise als Sturm- und Drangdrama mit Gruseleffekten, gibt den weitläufigen Orchesterbögen breiten Raum, lässt aber auch traumschöne Details erklingen. Über ein Mezzoforte hinaus geht die Chose freilich nie. Für wirklichen Krach ist der Bayreuther Graben bekanntlich nicht geeignet und einmal mehr fragt man sich, warum nicht endlich einer mal den Orchesterdeckel bei bestimmten Stellen ein wenig lüpft.
Der Vorteil solch eines tiefer gelegten Orchesters besteht in der Unmöglichkeit, die Sänger zu überdecken. Nun hätten fast alle Solisten dieser Premiere auch in anderen Häusern wohl kaum Schwierigkeiten, vokal über die Rampe zu kommen. Franz-Josef Selig gab einen prachtvoll orgelnden Daland, sein Töchterchen Senta wurde von Adrianne Pieczonka formschön, aber – etwa in der berühmten Ballade – recht zurückhaltend gesungen. Michael König gab den Senta verzweifelt anschmachtenden Erik mit Elan, Benjamin Bruns sang die kleine Partie des Steuermanns brillant, während Christa Mayers Mary einiges schuldig blieb.
Den Titelheld verkörperte Samuel Youn, als Einspringer für den ob diverser tätowierter Nazi-Symbole kurzfristig abhanden gekommenen Evgeny Nikitin. Youn ist noch sehr jung, was man in jeder Phrase, bei jedem Einsatz hört. Dennoch hat seine Stimme ausreichend Substanz, außerdem teilt er seine Energien gut ein, sodass dieser Ersatz absolut festspielwürdig war.
Der Rezensent hat sich während des Verfassens dieser Kritik – am Morgen danach – etwas erholt und sicher wird von ihm nun erwartet, etwas zur Inszenierung zu sagen. Das tut er eher ungern, um nicht wieder in Trübsal zu verfallen.
Jan Philipp Gloger war bisher als gediegener Schauspielregisseur bekannt, erst zweimal widmete er sich dem Musiktheater. Sein dritter Streich passt sowohl konzeptionell wie handwerklich allenfalls an ein mittleres Stadttheater. Bühnenbildner Christof Hetzer schuf ein riesiges Gerüst, das wie eine Computerplatine aussieht und auf dem offenbar irgendwelche Datenströme umher rasen. Es gibt Zählwerke, wenn von Vanitas die Rede ist, zeigen sie Nullen. Im zweiten Aufzug schiebt sich ein grauer Kasten nach vorne, in dem reichlich gesponnen – gealbert – wird. Bieder gekleidete Arbeiterinnen verpacken dort Tischventilatoren in Kartons, einzig Senta trägt ein rotes Kleid und bemalt ihre Arbeitsumgebung blutrot, schnitzt ein Kartonschiff, hängt sich rot verschmierte Flügel an, hantiert mit einer Kartonpuppe. Der Holländer ist ein Businessmann mit Rollkoffer, Senta wird – vermutlich – von Daland an ihn verkauft. Sie macht das Geschäft – möglicherweise gern – mit und lässt ihren langweiligen Freund dafür fahren. Erik arbeitet in dieser seltsamen Firma als Hausmeister. Gegen Ende kommt eine Drehbühne zu endlosem Einsatz, das Volk feiert die ‚Verliebten’. Die Herren tragen nun billig wirkende Anzüge, die Damen Designerkleidung. Das alles ist fürchterlich banal und spröde, dazu konfus gedacht und insgesamt wirklich schlecht gemacht. Die Reaktionen waren entsprechend: Getrampel für die Ausführenden, vehemente Buhs fürs papierne Konzept.
So bleibt die Hoffnung auf Frank Castorfs Ring im kommenden Jahr. Castorf weiß zumindest, was er tut. 2014 gibt es keine Neuinszenierung in Bayreuth, 2015 stemmt Katharina Wagner den Tristan, 2016 wird Jonathan Meese Parsifal in Szene setzen. Meese spielt gern mit NS-Symbolen, vielleicht bekommt Evgeny Nikitin dann doch noch seinen Bayreuth-Auftritt.