Vom Mondlicht bis zum Sonnenaufgang
REST DER WELT / LUZERN FESTIVAL
16/09/11 Die Wiener Philharmoniker machten auf ihrer kurzen Herbsttournee mit Yannick Nézét-Séguin und Franz Welser-Möst am Pult Station beim Lucerne Festival. Zu hören waren geheimnisvoll schimmerndes Mondlicht, Wellen des nächtlichen Meeres und ein strahlender Sonnenaufgang.
VON OLIVER SCHNEIDER
Wenn die Wiener Philharmoniker in Luzern auf dem Podium sitzen, ist der Saal normalerweise fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Bei Franz Welser-Möst, der neben dem ersten auch das dritte Konzert leitete, war dies auch der Fall. Im ersten Konzert am Montagabend dirigierte er wie bereits in Salzburg Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ in der Bearbeitung für Streichorchester von Gustav Mahler, und Dvo?áks Fünfte Symphonie.
Nicht so jedoch beim aufstrebenden Yannick Nézét-Séguin. Etliche Plätze blieben leer, als der Festspieldebütant am Dienstag ans Pult trat. Das war bedauerlich, aber es erging ihm nicht anders als arrivierten Grössen wie Christian Thielemann, dessen Ruf anscheinend noch nicht bis in die Zentralschweiz gedrungen ist. Noch eine Portion schwieriger wird es, wenn das Programm anderes als Beethoven, Brahms, Bruckner und Mahler bietet. Das hatten sogar die Berliner Philharmoniker bei der Neunten Bruckner kombiniert mit Benjamin Brittens „Nocturne“ feststellen müssen.
Im Konzert unter Nézét-Séguins Leitung waren auch die Wiener mit beiden Schwierigkeiten konfrontiert. Doch wer am Dienstagabend ein bisschen Offenheit mitbrachte, erlebte nach der Pause eine regelrechte Sternstunde impressionistischer Farbenspiele in Werken von Claude Debussy und Maurice Ravel. Wahrlich keine fordernde Moderne. Die bestens disponierten Philharmoniker lasen dem zurzeit mit Chefpositionen in Montreal und Rotterdam betrauten Dirigenten jeden Wunsch von den Augen und aus seinen großen Gesten ab.
Unter Nézét-Séguins Leitung strömten die facettenreichen Charaktere der drei Nocturnes von Debussy präzise und im geschmeidigen Fluss dahin. Im dritten Nocturne „Sirènes“ ließen der 36-jährige Kanadier und das Orchester das Mondlicht wunderbar geheimnisvoll auf den Wellen des nächtlichen Meeres schillern. Für den vokalisierenden Frauenchor hatte man die Zürcher Singakademie engagiert (Einstudierung: Tim Brown). Ebenso eindrücklich gelang die Wiedergabe der zweiten Suite aus Ravels „Daphnis et Chloé“, in der vor allem die Bläsergruppen philharmonischen Glanz verbreiteten und die abschließende „Danse générale“ einen effektvollen Konzertschluss lieferte.
Mit „Ton, Farbe, Rhythmus“ war das Konzert themenmäßig überschrieben, wozu Olivier Messiaens erstes gültiges Orchesterwerk „Les Offrandes oubliées“ zur Eröffnung ideal passte. Auch hier kosteten Nézét-Séguin und die Wiener den Kontrastreichtum der drei Teile aus. Es war dann aber vor allem die fließende Gelöstheit des dritten, langsamen Teils „L’Eucharistie“, die tief berührte.
Dass Schuberts Unvollendete als zweiter Programmpunkt folgte, lässt sich wohl damit erklären, dass man dem Publikum wenigstens etwas aus dem gängigen Kanon bieten wollte. Nézét-Séguin forderte dynamische Klarheit ein, ließ das Orchester aber ansonsten butterweich und genussvoll musizieren.
Während man Nézét-Séguin sein Temperament, seine Energie schon beim Zusehen auf dem Podium anmerkt und er diese auf das Orchester überträgt, erlebte man am dritten Abend mit Franz Welser-Möst einen ganz anderen Zugang zur Musik. Hier die fast noch jugendliche Frische, da die innere Abgeklärtheit und Reife. Ein interessanter Vergleich, wenn die Wiener mit zwei Dirigenten der ersten Liga antreten.
Eröffnet wurde das Konzert am Mittwoch mit Mozarts „Sinfonia concertante“. Die 27-jährige französische Geigerin Fanny Clamagirand und ihr Landsmann Antoine Tamestit, 2008 Preisträger des Credit Suisse Young Artist Award, fanden bereits im einleitenden Allegro maestoso zu einem lebendigen Dialog, der sie im langsamen Mittelsatz in melancholische, fast schwermütige Gefilde führte. Begleitet wurden sie von einem soliden, aber auch etwas behäbigen Orchester.
Die Musiker kamen erst im zweiten Teil mit Harrison Birtwistles 2004 in Luzern ebenfalls unter Welser-Möst uraufgeführten Nocturne „Night’s Black Bird“ in Fahrt, in dem die Nacht als bedrohendes Moment und Seelenabbild geschildert wird. Auch Vogelstimmen wiedergebende Holzbläser bringen keine Ruhepole im rhythmisch und melodisch abwechslungsreichen Klangbild; erst ein Trompetensignal vertreibt die spannungsgeladene Stimmung.
Wenn das Festivalmotto „Nacht“ heißt, muss irgendwann auch Richard Strauss‘ Tondichtung „Also sprach Zarathustra“ erklingen. In Luzern kam den Wienern die Aufgabe zu, und dieser entledigten sie sich mit Bravour. Machtvoll erhob sich die Orgel in der Introduktion im Konzertsaal von Jean Nouvel und ließ das Gefühl eines Sonnenaufgangs wahrlich aufkommen. Höhepunkte und Momente der Entspannung bauten sich in der Folge natürlich auf, so dass die Residenz der Wiener Philharmoniker einen rundherum gelungenen Abschluss fand.