"Alles klar, Herr Papa"
REST DER WELT / MÜNCHEN / MITRIDATE
26/07/11 Erfrischende Neuinszenierung von Mozarts „Mitridate, Re di Ponto“ im Münchner Prinzregententheater im Rahmen der Münchner Opernfestspiele.Von Oliver Schneider
Kurz bevor die Festspielsaison in Salzburg beginnt, wo die Werke des Genius loci naturgemäss einen zentralen Programmpfeiler bilden, bietet die Bayerische Staatsoper mit einer Neuinszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts 1770 in Mailand uraufgeführtem „Mitridate, Re di Ponto“ eine sehenswerte Alternative. Während das in Kleinformation angetretene Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Ivor Bolton zupackend und kantig die Ouvertüre musiziert, projizieren Regisseur David Bösch und sein Ausstattungsteam (Bühne: Patrick Bannwart, Kostüme: Falko Herold, Licht: Michael Bauer) den 14-jährigen Komponisten als Comicfigur arbeitend auf einen schwarzen Vorhang. Nicht immer fließen dem Heranwachsenden nur die Noten aus der Feder, immer wieder zeichnet er auch gleich die Figuren selbst oder Handlungssymbole auf. Wenn der gestrenge Vater Leopold fragt, ob es vorangeht, lautet die Antwort nur: „Alles klar, Herr Papa.“
Bösch interessiert sich weniger für die Geschichte des antiken Königs Mitridate in Kleinasien, sondern lenkt seine Blicke auf die familiären Konflikte in dieser Opera seria, die der „junge Mozart“ sich in München für ein heutiges Publikum ausdenkt. Da ist zunächst der Vater als geschlagener Kriegsheimkehrer, der zu Hause eigentlich Zuneigung und Ruhe sucht. Doch schlüpft er dort bei seinen zwei ungleichen Söhnen automatisch in die autoritäre Vaterrolle. Der eine, Sifare, ist der Brave, der es dem Vater immer recht machen will, der andere, Farnace, ist der Rebell, der seinen eignen Weg sucht. Müssig zu sagen, dass bei einer Aufführung von „Mitridate“ auch die Frage des Autobiographischen in Bezug auf das Verhältnis Leopold und Wolfgang Amadeus Mozart stellt. Schliesslich lieben die drei Männer noch die gleiche Frau, Aspasia, was die Lage verkompliziert.
Das Regieteam hat die erste Opera seria Mozarts ganz behutsam für uns heute adaptiert. Gespielt wird in einem schwarzen Halbrund, in dem die projizierten Comics, Videoeinblendungen von Möwen und das Schlauchboot „Principessa“ sowie ein Kronleuchter für die örtliche und gesellschaftliche Verortung am Schwarzen Meer sorgen. Der relativ intime Raum des Prinzregententheaters erlaubt Bösch eine Konzentration auf die Zeichnung der Personen. Auf der Bühne agieren heutige Menschen mit ihren Tugenden und Lastern. Im Laufe des mit zwei Pausen fast vierstündigen Abends mag der beschränkte Handlungsreichtum zwar zu einem leichten Spannungsabfall führen, was aber mehr den Seria-Zwängen geschuldet ist. Bis auf ein Duett am Ende des zweiten Akts und das Schlussquintett reiht sich Arie an Arie verbunden mit vornehmlich Seccorezitativen. Aber Bösch verfällt zum Glück nicht dem Wahn, die Musik mit dauerndem Aktionismus konkurrenzieren zu müssen. Im Gegenteil: Er entwickelt seine Regie ganz aus der Musik heraus und setzt nur zum Auflockern einige Farbtupfer.
Barry Banks gibt den brutalen und herrischen Mitridate mit metallischem Glanz und bewältigt die anspruchsvolle, einzige Partie ohne Koloraturen mit Bravour. Scheinbar mühelos gelingen ihm die mörderischen Intervallsprünge in seiner Arie im dritten Akt, bevor er in die Schlacht gegen den römischen Feind vor den Toren der Stadt zieht. Eine ebensolche Idealbesetzung ist Anna Bonitatibus als sanftmütiger und ausgleichender Sifare. Ihre Stimme ist zwar nicht sehr groß, so dass sie zu Beginn der besuchten zweiten Vorstellung Mühe hatte, sich gegen das Orchester durchzusetzen. Dafür entschädigt sie mit flüssiger und nuancierter Stimmgebung sowie perlenden Koloraturen. Der großstimmige Countertenor Lawrence Zazzo ist Sifares temperamentvoller Bruder, der sich nur zu gerne vom Römer Marzio (Alexey Kudrya) mit einem T-Shirt als „Farnace Imperator“ schmeicheln lässt. Farnaces Verlobte Ismene (schmiegsam Lisette Oropesa) ist bereits schwanger, was die Lust auf saure Gurken verständlich macht.
Etwas problematisch ist die Aspasia von Patricia Petibon. Zwar gibt sie die Sifare liebende Prinzessin höchst intensiv und expressiv, aber ihre ausladenden Höhen und die nicht ganz saubere Intonation sind gewöhnungsbedürftig. Wunderbar hingegen harmoniert ihre Stimme mit jener von Anna Bonitatibus im verzweifelten Zwiegesang der Liebenden zum Abschluss des zweiten Akts. Eri Nakamura komplettiert das insgesamt ausgezeichnete Ensemble als Ratgeber Arbate.
Ivor Boltons eher grobes Dirigat ist gut auf die Szene abgestimmt. Arien wie Sifares „Lungi da te“ dürften eine Spur lyrischer im Graben begleitet werden. Nicht ganz ideal ist auch der Zusammenklang zwischen dem auf modernen Instrumenten spielenden Staatsorchester und dem obligaten Naturhorn.