Marina Abramovic ließ sterben
MÜNCHEN / 7 DEATHS OF MARIA CALLAS
09/09/20 Natürlich alles anders jetzt auch in der Bayerischen Staatsoper. Nur jede zweite Reihe besetzt. Abstands- und Maskenpflicht für fünfhundert zugelassene Gäste. Immerhin sind es nicht bloß zweihundert, was eine gute Weile auch im Raum stand.
Von Hans Gärtner
Das luftig besetzte Orchester hoch- und drei Sitzreihen weit ins Parkett gefahren. Proszeniums-Logen mit Choristen besetzt. So also starb, zum Auftakt der Spielzeit, Marina Abramovic alias Maria Callas. Genau genommen starb sie nicht selbst. Sie ließ sterben. Mit unsterblichen Top-Arien der größten Opernsängerin des 20. Jahrhunderts. Siebenfach beschwor die 73-jährige serbische Performance-Ikone Marina Abramovic den Tod der damals 43-Jährigen Griechin in Paris herauf.
Staatsintendant Nikolaus Bachler trotzte Corona hievte Abramovic' für April geplantes Opern-Projekt 7 Deaths of Maria Callas auf die Bühne des Nationaltheaters, um es von hier nach Rijeka, Berlin, Athen weiterzureichen.
Die stramme Abramovic liegt eineinviertel Stunden geschlossenen Auges und zugedeckt im Sterbe(?)-Bett (der Callas?). Doch ist sie, im Verein mit US-Mimen Willem Defoe, in den acht Video-Szenen voll da: im Astronauten-Look, im Goldlamee-Schwenker, halbnackt, als Torero, in Hochzeits-Weiß gehüllt, mit lebenden Boas um den Hals oder blutbefleckt, stets theatralischen Blicks. Wandspiegel zerschlagend, Blumensträuße zerfetzend. All sowas nicht unbedingt konform mit den Opern-Arien aus Werken von Bellini, Bizet, Donizetti, Puccini und Verdi, die verbunden sind durch eine phantastisch dichte filmisch breite Komposition von Marko Nikodijevic.
Die Arien werden unter dem zum Dauer-Largo tendierenden Dirigenten Yoel Gamzou respektabel gut gesungen von jungen Inhaberinnen von Callas-Rollen (Desdemona fällt da aber weg), die in Altenpflegerinnen-Outfit an das Bett der Abramovic/Callas schleichen. Aus Angst vor den von Orkanen getriebenen Wolkengebilden auf der Leinwand?
Letzter Akt: Es wird ernst. Akkurat nachgebaute Pariser Wohnung der Callas. Abramovic spielt sie nun. Sie ist „ihr Spiegel“. Entsteigt, deklamierend, dem Sterbelager, ganz in Weiß. Zerdeppert wieder eine Vase samt Bouquet. Zählt bis 17. Kommt nur bis 10. Springt nicht aus dem Fenster. Wendet sich lieber in Richtung Bad… Corona sei`s gedankt, verhängen die Pflegerinnen (eine von ihnen, die überragende Adela Zaharia, singt Lucia Astons Wahnsinns-Arie mit Bravour) nicht nur das Mobiliar mit schwarzem Tüll, sondern desinfizieren, maskiert, den Raum.
Starker Beifall. Da und dort Standing Ovations. Kein Fächerwedeln. Keine Buhs, keine Bravos.