Nachlese zum Luzerner Sommer
LUCERNE FESTIVAL
20/09/16 Vom 12. August bis 11. September kamen fast 78.000 Besucherinnen und Besucher aus 49 Ländern zu den über hundert Veranstaltungen des Lucerne Festivals. Die Auslastung der (verkauften) Veranstaltungen lag bei 90 Prozent. Ein Streifzug durch die letzten zwei Festivalwochen.
Oliver Schneider
Dramaturgisch stand die „Prima Donna“ im Mittelpunkt: Dirigentinnen, Olga Neuwirth als „composer-in-residence“, Star-Solistinnen und Komponistinnen hatte Michael Haefliger heuer in den Mittelpunkt der Sommerausgabe des Lucerne Festivals gestellt. Allein fünf Dirigentinnen am Pult des Chamber Orchestra of Europe und des Lucerne Festival Academy Orchestras prägten einen Erlebnistag für Jung und Alt im August, den auch die Salzburger Musikdirektorin des Landestheaters, Mirga Grazinyté-Tyla, mitgestaltete. Schaute man sich aber ein bisschen genauer an, wer vor den Orchestern stand, war doch alles wie gewohnt: Bei den großen – auch beim Lucerne Festival Orchestra – dominierten, wie eh und je, die Herren. Die Damen standen vornehmlich bei den weniger renommierten Formationen am Pult.
Einzig das Orchester, das erst seit 1997 Musikerinnen in seine Reihen aufnimmt, war mit einer Dirigentin angereist: die Wiener Philharmoniker, die am ersten ihren beiden Konzertabende unter der Originalklang-Spezialistin Emmanuelle Haïm musizierten. Häim gab damit auch ihr Debüt beim Traditionsorchester, das in kleiner Besetzung ein reines Händel-Programm spielte. Positiv zu bewerten ist die Offenheit der Wiener zu diesem Schritt. Vom Ergebnis bleiben aber Zweifel zurück: Auch wenn die Streicher mit wenig Vibrato musizierten – das gelang den Musikern unterschiedlich gut –, klingt Barockmusik mit neuen Instrumenten für heutige Ohren befremdlich. Das lag einerseits an der Stimmung der Instrumente, aber auch daran, dass die immer noch samtig-satten Streicher für den feinen Klang der Blockflöte oder der Theorbe, die man in Luzern „beigezogen“ hatte, zu dominant waren. Zu wünschen wäre, dass sich aus dem Kreis der Philharmoniker eine auf alten Instrumenten spielende Formation bildet und das Barockrepertoire wieder für sich entdeckt.
Für die Festspielwürdigkeit sorgte an diesem Abend Sandrine Piau, die mit lupenrein, beweglich geführter Stimme und virtuoser Geläufigkeit Händels frühe Kantate „Delirio amoroso“ gestaltete.
Mit der „Prima Donna“ der Violine, Anne-Sophie Mutter, spielte das Lucerne Festival Academy Orchestra ihr Abschlusskonzert unter Alain Gilbert. Alban Bergs Violinkonzert machte sie zu einer herzzerreißenden Totenklage. Zuvor durchlebte sie mit schlankem, sehr persönlichem Ton die irrealen, an der französischen Tradition andockenden Traumwelten von Norbert Morets 1988 für sie komponierten „En rêve“ für Violine und Kammerorchester. Zum Abschluss beeindruckten die jungen Musiker der seit dem letzten Sommer von Wolfgang Rihm geleiteten Akademie mit einer blendenden Wiedergabe von Schönbergs spätromantischer sinfonischen Dichtung „Pelléas et Mélisande“. Heuer nahmen 129 Orchestermusiker aus 28 Ländern im Alter zwischen 17 und 32 und erstmals auch zwölf Komponisten an der Akademie teil. Einen Nachmittag fast nur mit Uraufführungen konnte man vor dem Abschlusskonzert erleben. Gespielt haben ehemalige Akademisten unter der jungen taiwanesischen Dirigentin Lin Liao.
Mit einer „Prima Donna“ des Gesangs machte das in Luzern debütierende Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Generalmusikdirektor Kirill Petrenko Station: Diana Damrau, die die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss interpretierte. Da lag der der Vergleich mit Anja Harteros in Salzburg Mitte August nah. In schillernden Farben und mit ausgewogener Mittellage ließ sie ihre Stimme ab dem „September“ leuchten und lotete die heiklen Gesänge mit allen ihr zur Verfügung stehenden Ausdrucksmöglichkeiten aus. Die bayerische Formation wusste im Übrigen mit einem rasanten Meistersinger-Vorspiel zu punkten und holte auch aus der kunsthandwerklichen Sinfonia domestica von Richard Strauss mit Transparenz und Schönklang das Maximum heraus.
Ein weiteres Festivaldebüt gab Tugan Sokhiev im zweiten Konzert der Wiener Philharmoniker. Tschaikowskys Fünfte spitzte er effektvoll auf das Finale zu. Im ersten Teil begleiteten die Philharmoniker Simone Rubino, den heurigen Preisträger des Credit Suisse Young Artist Awards, beim virtuosen Konzert für Schlagzeug und Orchester von Tan Dun.
Ohne Dirigentin, Solistin und ohne ein Werk einer Komponistin waren schließlich die Münchner Philharmoniker unter Valery Gergiev unter anderem mit Prokofjews „Romeo und Julia“, Richard Strauss‘ „Don Juan“ und Aleksandr Skrjabins effektvollem „Poème de l’Extase“ angereist. Ein grundsolider Abend, der leider trotz gut disponiertem Orchester nicht mehr als ein „Abonnementskonzert“ war. Auch das gibt es in Luzern.