Während der Krise muss man nicht an die Front
NACHGEFRAGT BEI DORIT EHLERS
08/04/20 „Ganz am Anfang steht ja die bewusste Entscheidung: Ich gehe in die freie Szene.“ Dorit Ehlers, freie Schauspielerin und Mitbegründerin des Netzwerks ohnetitel, betrachtet das aktuelle Thema „Prekäre Verhältnisse in Kunst und Kultur“ im Kontext ihrer Lebensplanung: „Trotz der üblichen Lebens-Haltungs-Zwänge bin ich nicht bemitleidenswert. Ich habe es mir selber so ausgesucht.“
Von Heidemarie Klabacher
„Ich leiste mir den Luxus, mit wenig auszukommen. Dieser Luxus ist mir sehr wichtig.“ Zum Luxus gehöre, keinen Chef zu haben oder Zeit und Inhalte selber einteilen und bestimmen zu können. Sie habe sich nie an einer Bühne oder einem Schauspielhaus beworben, versichert die 1971 in Hamburg geborene Schauspielerin. „Ich jammere nicht. Ich habe diesen Weg selbst gewählt.“
Und die Gruppe ohnetitel, als Plattform für spartenübergreifende Theater- und Kunstprojekte in Salzburg, funktioniere genau so: „Wir sind Freischaffende, die sich zum Netzwerk zusammengefunden haben. Wir hanteln uns von Projekt zu Projekt, wissen in etwa, was wir als Jahresförderung erwarten dürfen und sind im Übrigen auf Aufträge angewiesen.“ Der Beitrag der Subventionsgeber Stadt und Land Salzburg: „Wenig, aber wichtig.“ Wichtiger seien „die Partner, zu denen wir den Kontakt selber aufgebaut haben“. Wie etwa die Sommerszene, von der ohnetitel regelmäßig Aufträge und Einladungen bekommen, oder die Initiative Architektur. „Die sagen dann zu uns: Hier hätten wir ein leeres Haus. Lasst euch dazu was für die Architekturtage einfallen.“
Dieser Tage stehe im geschlossenen Literaturhaus in der geschlossenen Bachmann-Ausstellung eine Hör-Installation von ohnetitel: „Das war ein Auftrag des Frauenbüros.“ Um Förderungen reiche man ein, aber es sei dann immer weniger, als man erhofft habe. „Aber wir sind geübt in dem Zustand Es wird schon irgendwie weiter gehen...“
All das laufe durchaus unter dem Begriff „prekär“, zeuge von „finzanzieller Dramatik“ und sage dennoch „nichs über unsere Haltung aus“, betont Dorit Ehlers. „Wir sind eine stolze Truppe und das Jonglieren mit schwierigen Zuständen gewohnt.“ Nachsatz: „Aber es ist nicht leicht.“
Leicht sei es dagegen für die „Außenwelt“ zu sagen, „das sind Lebenskünstler“. Mit diesem romantischen Begriff sei „schnell alles gut geredet und das ist dann auch wieder zu leicht“. Auf der finanziellen Seite herrscht also auch in der aktuellen Krise kaum mehr Unsicherheit als üblich. Sie persönlich, so Ehlers, habe „Soforthilfe sofort genehmigt bekommen“.
Wie schaut es auf der künstlerischen Seite aus? Sie gehöre nicht zu den Depressiven und Deprimierten, befasse sich mit eigenen Projekten und Plänen, besonders mit ihrem Herzensprojekt Schiffssehnsucht: „Da bin ich auf meinem fiktiven Containerschiff unterwegs.“ Sonst versuche sie dieser Tage „den Körper fit zuhalten, Ideen auszubrüten und vor allem zu schauen, was rundum so passiert, ohne sofort in Hyperaktivität zu verfallen“.
Für sie sei „sofort live-streamen nicht so wichtig.“ Wichtiger sei ihr „wahrnehmen und beobachten, was sich alles tut, und aus diesen Beobachtungen in der Krise Schlüsse zu ziehen“. Sie und ohnetitel würden bewusst nicht „alte Sachen ohnline stellen“. Sie werde auch nicht ihr „Lieblingsbuch hervorsuchen und vorlesen, um andere zu unterhalten“. Ihr Auftrag an sich selbst: Beobachten, was passiert in der Stadt. Schauen, was der Stillstand mit uns macht, versuchen zu erkennen, was an den Beobachtungen relevant und ob dies Anknüpfungsunkt für künftige Projekte sein könne. „Wäre ja schade, wenn die Krise nicht unseren Denkraum erweitern würde.“ Dorit Ehlers formuliert es prägnant: „Während der Krise muss man nicht an die Front.“
Die Krise habe ohnetitel vom Timing her „sogar in einem guten Moment getroffen“. Die jüngste Arbeit, die Hör-Installation im Literaturhaus, habe man noch präsentieren können. Und die neue Probenarbeit beginne dieser Tage wie üblich mit einer Phase des Nachdenkens. „Wir haben unglaubliches Glück gehabt und nichts absagen müssen.“ Die nächste Produktion soll erst im November herauskommen.
Als aufmerksame Beobachterin habe sie „mit positiver Aufmerksamkeit“ in der immer dramatischer werdenden Krise verfolgt, „wie schnell auch die Künstlerinnen und Künstler in den sozialen Plänen mitbedacht wurden“. Das sei ein ermunterndes Zeichen: „Viele Menschen und Verantwortungsträger haben im Blick, wie wichtig Kunst und Kultur für uns alle sind.“