Weltlich Getümmel im Kammermusikhimmel?
HINTERGRUND / FESTIVAL HERBSTTÖNE
19/11/24 Als Journalist, der seine Ohren bald ein halbes Jahrhundert lang in Salzburg spazieren trägt, hat man in Punkto Kammermusik manche Höhen und Tiefen mitbekommen. Die Höhen sind freilich schon geraume Zeit her – vor allem was die Publikumsresonanz betrifft. – Eindrücke vom Kammermusikfestival HerbstTöne an der Universität Mozarteum.
Von Reinhard Kriechbaum
Es gab ja Zeiten, da hat man mit Streichquartetten oder -trios, mit Bläserquintetten und dergleichen den Großen Saal des Mozarteums voll bekommen. Es folgten Durststrecken und dann eine leichte Erholung des Publikumsinteresses, aber: Mehr als hundertfünfzig, im besten Fall zweihundert Hörer bekommt man unterm Jahr schwerlich in einen Konzertsaal. Es reichen also für gewöhnlich der Wiener Saal oder die Villa Vicinia der Stiftung (der außerhalb der touristischen Schienen einzigen Anbieterin von Kammermusik) vollends aus.
Gerade darum lässt das unterdessen gut eingeführte Kammermusikfestival HerbstTöne an der Universität Mozarteum aufhorchen. Ein Blick ins Auditorium: Es gibt die Interessenten sehr wohl, wenn Qualität und Angebot stimmen – und dafür garantiert der künstlerische Leiter dieser Veranstaltung, Lukas Hagen. Da kommen also Musikstudentinnen und -studenten (die in den „bürgerlichen“ Konzertreihen in der Stadt sonst völlig auslassen) ebenso wie „normales“ Publikum, das seinerseits sonst nicht so furchtbar viel Interesse am vielfältigen Angebot der Universität Mozarteum zeigt.
Mit den HerbstTönen bewegt man sich also an einer Schnittstelle mit guten Optionen. Beim Festival am vergangenen Wochenende (15.-17.11.) wurden 823 Tickets ausgegeben, hieß es auf Nachfrage des DrehPunktKultur. Für sechs Konzerte im Solitär. Das ist nicht rasend viel, aber eben wegen der guten Publikums-Durchmischung eine mehr als zufriedenstellende Resonanz.
Es war ja auch viel dabei, was einen hinlocken mochte: Das nahm seinen Ausgang mit einem Programm frühbarocker geistlicher Musik rund um Heinrich Schütz' Musicalische Exequien, geleitet von Jörn Hinnerk Andresen. Der war vor seiner Berufung ans Mozarteum als Professor für Chordirigieren nicht nur Chordirektor an der Dresdner Semperoper, sondern redet auch in der Alte-Musik-Szene mit. Von ihm kann man also in vielerlei Hinsicht lernen.
Die HerbstTöne taugen durchaus als Leistungsschau der Universität Mozarteum, auch in dem Sinn, als prominente Lehrende mit ihren besten Eleven musizieren. Die Blockflötistin Dorothee Oberlinger, der Gambist Vittorio Ghielmi, Florian Birsak und Max Volbers (Cembalo), um nur ein paar Kapazunder vom Department für Alte Musik zu nennen. So bekommt eine Telemannia erheblichen Pep. Nicht alltäglich auch, wenn Giovanni Gnocchi mit einer studentischen Cello-Phalanx anrückt und sich von der Renaissance über Piazzolla bis Penderecki (als Letztverstorbenem) und weiter zu einer Mozart-Verjazzung von Fazil Say heraufarbeitet. Reiz der bearbeitung, hoher Erlebniswert!
Fein auch, dass Juliane Banse sich und ihre Schützlinge in den Dienst einer Schumanniade gestellt hat. Liedsänger haben ja, sagen wir es unverblümt, seit je her im Musikleben Salzburgs die Arschkarte gezogen. Liederabende kommen nur ausnahmsweise vor. Wie wäre es wohl, wenn die Universität mal einen Liederabend-Zyklus als Versuchsballon steigen ließe, mit ihren Gesangs-Lehrenden und ihren Meisterstudierenden? Das könnte, marketingmäßig ordentlich aufgemascherlt, eine echte Marktlücke schließen helfen.
So richtig voll war der Solitär am frühen Samstagabend (16.11.), als Mahlers Vierte Symphonie in einer Kammermusikfassung angesagt war. Ildikó Raimondi als Sopran-Solistin im vierten Satz, in dem die „himmlischen Freuden“ besungen werden. Durchaus himmlische Freuden vermittelte aber auch diese raffinierte Fassung von Klaus Simon: jeweils nur ein Blas- oder Streichinstrument, Klavier und Akkordeon ergänzen die Blindstellen. Fürs Schlagzeug braucht's freilich auch in der Kammermusik-Version zwei Musiker, weniger geht bei Mahler nicht. Chungki Min, ein junger Dirigent aus Korea, hat das vierzehnköpfige Ensemble geleitet und noch mehr Wunderhorn-Anklänge herausgebracht, als man sie aus der wohl vertrauten, originalen Orchesterversion im Ohr hat.
Zu den HerbstTönen gehört auch die Moderation. Im Fall der Mahler-Symphonie war's einer aus dem Ensemble, der Flötist Theodore Squire. Mit viel Charme hat er auch von persönlichen Erfahrungen aus den Proben erzählt (allemal interessanter als musikologische Analysen). Und er hat gebeten, Handys auszuschalten, denn „kein weltlich Getümmel hört man nicht im Himmel“, wie es im Finalsatz so schön heißt.