Allerfröhlichste Apokalypse
KULTURVEREINIGUNG / WIENER SYMPHONIKER
18/01/24 Was für ein Stück! Da begann ein Dreizehnjähriger im Jahr 1911 eine Symphonie zu schreiben, die im Lauf von zwei Jahren zu einem opulenten 45-Minuten-Stück angewachsen ist. Der Titel Sinfonietta wirkt da fast wie Understatement. – Die Wiener Symphoniker unter Marie Jacquot.
Von Reinhard Kriechbaum
Dieses extraordinäre Stück, ein Rarissimum auf dem Konzertpodium, führen die Wiener Symphoniker – in diesen Tagen bei der Kulturvereinigung im Großen Festspielhaus zu Gast – auf ihrer aktuellen Tournee im Gepäck. Richard Strauss saß 1913 bei der Uraufführung neben dem fünfzehnjährigen Erich Wolfgang Korngold und hat die Sinfonietta H-Dur op. 5 des komponierenden Wunderkinds später auch selbst dirigiert. Vielleicht war ihm dieses Stück so sympathisch, weil nicht nur der erste Satz nachgerade übersprudelt vor Walzerseligkeit. Man denkt unwillkürlich an Strauss und seinen Rosenkavalier (1911), der damals fürs Publikum ja quasi noch druck- und hör-frisch war. Aber so unmittelbar auch die Assoziation mit der Rosenkavalier-Walzerfolge: Der blutjunge Korngold hat sich inspirieren lassen, aber nicht einen Ton abgekupfert. Das ist eigentlich die große Überraschung in dieser Sinfonietta, die gleichsam Grußadressen sonder Zahl an die Epoche und ihre Meister enthält – sie wurde nicht zum Plagiat.
Der Walzer-Charme des Beginns ist umwerfend. Das robust bis turbulent anspringende Scherzo überrascht dann mit orchestralen Feinheiten, mit beinah impressionistisch anmutenden, gar verträumten Filigran-Malereien. Was ist damals, in den Jahren unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg, nicht alles hereingeprasselt auf einen Jung-Komponisten! Der „Molto andante, träumerisch“ überschriebene langsame Satz ist besonders aufschlussreich, denn da klingt die Orchesterbehandlung auf der Schiene Puccini/Lehár ebenso durch wie das klangliche Experimentierfeld, auf dem Alexander Zemlinsky oder Franz Schreker den Pflug führten. Schrekers Fernem Klang mag auch der Jungspund Korngold nachgejagt sein.
Generell kann man über die Sinfonietta sagen, dass da eine Fülle an Ideen und Melodien drin steckt, aus der so mancher Komponisten-Kollege ein halbes Lebenswerk bestückt hätte. Weniger enthusiastisch formuliert: Das Wort Tausendfüßler wäre für diese Musik beinah eine Untertreibung. Das gilt ganz besonders für den schier ausufernden Finalsatz, in dem Korngold gar überraschende kontrapunktische Künste und Lust zur Opulenz vorzeigte. Klavier und Celesta, Röhrenglocken und Glockenspiel, zwei Harfen, Pauken sowieso – das ist auch eine handfeste Ohren-Überrumpelung.Musikologen sprechen von der Monarchie-Endphase gerne von „Fröhlicher Apokalypse“. Korngolds Sinfonietta spiegelt gewiss die allerfröhlichste Seite aller denkbaren Endzeiten.
Ein solches Werk will erst einmal gebändigt, in seinen Emotionen vermittelt und eben nicht nur knallig hingeworfen sein. Da hat die Französin Marie Jacquot, Erste Gastdirigentin der Wiener Symphoniker und künftig Chefdirigentin der Oper in Kopenhagen, ganze Arbeit geleistet. Souverän abwägend und gewichtend ließ sie das groß besetzte Orchester über diese Wogen aus Fantasie und Klang reiten. Es ist jedenfalls nicht eingetreten, was bei dieser Musik durchaus leicht passieren kann: dass sie so aufgefettet daher kommt, dass man sich ein Stamperl Schnaps zur besseren Verdauung dazu wünscht.
Noch eine Rarität haben die Wiener Symphoniker heuer dabei: Der verzauberte See op. 62 ist ein kurzes, impresssionistisch getöntes „Märchenbild“ (so der Untertitel) von Anatoli Ljadow (1874-1914). Hierzulande kennt man diesen Russen, Schöpfer vornehmlich von Klaviermusik, so gut wie nicht. Man sollte seine Musik mal neben Werke von Skrjabin stellen – das lohnte vielleicht.
Dalibor Karvay, Konzertmeister der Wiener Symphoniker, war schließlich Solist in Mendelssohns Violinkonzert. Er hat nicht Extravaganz ausgelebt, sondern ausgeprägte Partnerschaft und spürbare Lust an vielen kleinen Lyrismen. Aus der zugegebenen Sarabande aus Bachs zweiter Partita hat er dann besonders feine Melodiefäden gezogen.
Und a propos Zugaben: Im Jänner darf man schon noch Johann Strauss hören lassen. Da hat es Marie Jacquot nicht bei einem Ungewitter Unter Donner und Blitz belassen, sondern für gar wundersam von Wind durchpulste Einzelheiten gesorgt. Jedes Jahr wird von feministischer Seite reklamiert, dass es höchste Zeit für eine Neujahrskonzert-Dirigentin sei. Vielleicht wäre Marie Jacquot ein Joker auch für die Wiener Philharmoniker...
Heute Donnerstag (18.1.) wird das Programm wiederholt, am Freitag (19.1.) ist vor der Korngold-Sinfonietta das Violinkonzert von Tschaikowsky zu hören, mit Leonidas Kavakos, einst Konzertmeister der Camerata Salzburg, als Solisten – www.kulturvereinigung.com
Bilder: SKV / ebihara photography