Klage und Anklage
MUSISCHES GYMNASIUM / KONZERT
01/06/23 Die Uraufführung des Requiems für gemischten Chor und Orchester des 18jährigen Salzburgers Karim Zech wurde im Konzert des Musischen Gymnasiums in der Großen Aula lauthals gefeiert. Nicht nur was die Beherrschung des Apparats betrifft, sondern auch im spürbaren Streben nach Wahrhaftigkeit der Aussage und Eigenart des Stils ist hier zweifellos ein großes Talent am Werk
Gottfried Franz Kasparek
Doch der Reihe nach. Das Sinfonieorchester des Mozart Musikgymnasiums ist gottlob ein noch verbliebenes und nicht gefährdetes, sehr weiblich besetztes Jugendorchester in Salzburg und in allen Bereichen gut aufgestellt. Es ist erfrischend, den jungen Leuten und einigen Lehrenden beim beherzten Musizieren zuzuschauen und zuzuhören. Markus Obereder ist am Dirigentenpult ein getreuer Sachwalter großer Romantik, der genau weiß, was er seinem Kollektiv zumuten darf und das Optimum am Möglichkeiten herausholt. Dies ist nicht wenig, denn Franz Schuberts diffizile Ouvertüre zur Zauberharfe, eher als Rosamunden-Ouvertüre geläufig, hat man von „Erwachsenen“ schon pauschaler gehört. Edvard Griegs immer wieder erfreuende, instrumental fordernde Peer Gynt-Suiten wurden offenbar perfekt geprobt und erklingen nuancenreich und schön austariert zwischen Schwermut, Tanzlaune und Naturmalerei.
Nach der Pause im Konzert am Mittwoch (31.5.) in der Großen Aula füllt nicht nur das Orchester, sondern auch der von Thomas Huber bestens einstudierte Chor des Mozart Musikgymnasiums & Musischen Gymnasiums das Podium bis zu den äußersten Rändern. Markus Obereder schafft es, die Lautstärke gut dem Raum anzupassen und bringt das komplexe Werk Karim Zechs in all seinen Facetten zur Geltung. Karim Zech, Pianist und Kompositionsschüler von Ludwig Nussbichler am Musikum, ist mit seinen Stücken bereits seit seinem Ersten Preis bei „Jugend musiziert“ im Jahr 2018 erfolgreich unterwegs, nicht nur in seiner Heimatstadt, sondern zum Beispiel auch schon in Wien und in Lockenhaus. Und nun stehen bald Bratislava, Amsterdam und Stuttgart auf seinem Kalender. Und das alles geht ganz ohne Wunderkind-Hype.
Sein etwa fünfzigminütiges Requiem widmet er „den Gedanken an diejenigen Menschen, die aufgrund von Verstößen gegen die Menschenrechte ihr Leben lassen mussten“ - eine sprachlich holprige Formulierung, denn es geht natürlich um die Opfer von die Menschenrechte missachtenden Machtstrukturen und Ideologien. Zum liturgischen Text kommen zwei Artikel aus der Menschenrechtskonvention und das mittelalterliche Chanson L'homme armé als lapidarer Ausklang.
Karim Zech komponiert nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit einer Leidenschaft, die sich direkt mitteilt. Obwohl er auch mit Klangcollagen, Spektralakkorden und Zwölftonreihen arbeitet, bleibt die Textur im Grunde tonal zentriert. Markante Leitmotive sorgen für den großen Zauber der Wiederholung, welcher vieler „Neuer Musik“ so sehr abgeht. Der junge Mann ist ein prägnanter Rhythmiker und findet mitunter bezwingend melodische Motive. Vor allem hat er Sinn für atmende Klangräume und zeitliche Abläufe. Da ist nichts zu lang und nichts zu kurz. Der atmosphärische Introitus mit seinen Streichergespinsten und perkussiven Mustern kehrt zwischendurch immer wieder. Das heftig attackierende Dies irae lässt an Verdi und Britten denken, ohne eklektisch zu wirken – und es kann ein makabrer Walzer daraus werden. Der Chor hat eine Ausdruckspalette von innigem Gesang bis zum Flüstern und Schreien zu bewältigen, das Orchester ist souverän eingesetzt. Aus der Klage wird im mächtigen, zuletzt ersterbenden Finale eine erschütternde Anklage.
Ein Gesellenstück? Nein, durchaus ein Meisterstück. Mit aller Vorsicht – Karim Zech ist ein Mann mit großer Zukunft.
Bilder: musikum.at