Lustgewinn am Weitertun
HINTERGRUND / KINDER- UND JUGENDORCHESTER (3)
10/02/23 Sind Geldsorgen in Wirklichkeit die geringsten Sorgen? Markus Obereder, Leiter des Oberstufenorchesters des Musikgymnasiums Salzburg, macht sich ernsthaft Sorgen um den Nachwuchs. Sein Appell an die Veranstalter: Kinder- und Jugendarbeit, Workshops und Camps sind toll. „Aber noch viel befruchtender wäre es, bestehende Ensembles zum Auftreten einzuladen.“
Von Heidemarie Klabacher
„Wichtig wäre es, nicht zuletzt jetzt nach Corona, dass sich eine Dynamik entwickelt. Ein Musizierleben, das befruchtet. Wenn Kinder und Jugendliche einander in der Schule vorspielen, wirkt das hinaus auf die ganz Szene. Da wird es um Befruchtung und Ansporn gehen, nicht um Konkurrenz.“ Projektorientierte Orchesterarbeit organisiert von renommierten Konzertveranstaltern und Institutionen finde gerne mediale Aufmerksamkeit, bestätigt Markus Obereder. „Aber regelmäßige Probenarbeit, wie etwa zweimal wöchentlich bei uns im Mozart Musikgymnasium und regelmäßige Aufführungen in sehr guter Qualität, gehen meist etwas unter.“
„Wie schön wäre ein Festival für Jugendorchester.“ Es sei natürlich toll, wenn Institutionen Kinder- und Jugendarbeit machen, Workshops und Camps anbieten und günstige Karten. Aber ein Festival, das wärs... Der Pädagoge erinnert sich an Jahre, „da wurde das Orchester des Musischen Gymnasiums von der dortigen Mozartgesellschaft Rovereto zu Schulbeginn dorthin eingeladen: „Nach dieser einen Woche war das Orchester für das ganze Jahr zusammengewachsen.“
Markus Obereder ist der Leiter des Oberstufenorchesters des Musikgymnasiums Salzburg mit rund 45 Mitgliedern. Das „Musikgymnasium“ ist eigener Schultyp am Musischen Gymnasium, wie etwa auch die Zweige „Kreatives Schreiben“, „Tanz“ oder „Bildende Kunst“. Eine Klasse pro Jahrgang werde als reines Musikgymnasium geführt. Hier liege das Hauptgewicht auf dem Instrument. Die Schülerinnen und Schüler seien „maturabel“, hätten aber weniger Stunden, etwa nur eine lebende Fremdsprache, „damit mehr Zeit zum Instrument-Lernen bleibt“. Ein Solist übe vor einem Konzert immerhin bis zu sechs Studen am Tag, das ginge sich „sonst nicht nicht aus“. Einzelunterricht haben die Jugendlichen am Musikum oder im Mozarteum. Am Musikgymnasium gibt es die größeren Ensembels. „Im Oberstufenorchester sind zu 95 Prozent alle im Musikgymnasium.“
Dort habe er im Vorjahr eine Umfrage durchgeführt, erzählt Obereder. Fazit: „Es gab zwar in der coronabedingten freien Unterrichtszeit mehr Zeit zum Üben, aber oftmals hat die Motivation gefehlt. Das gemeinsame Musizieren in der Schule wurde besonders vermisst.“ Vermisst wurde das Aufeinander-Hören, das Sich-Abstimmen unter Gleichgesinnten.
„Die Peergroup ist enorm wichtig in diesem Alter.“ Daher sei es so wichtig, dass die Orchestermitglieder auch im Schulalltag miteinander zu tun haben, nicht etwa nur an einem Probenabend pro Woche, womöglich nur für ein „Projekt“. Es sei „natürlich traurig“, wenn ein Projektorchester aus finanziellen Gründen zu Fall kommt, „aber das regelmäßige gemeinsame Spielen ist viel wichtiger“. Als Beispiel nennt Obereder das schul-interne Konzert zum Übertritt von der Unterstufe in die Oberstufe: „Es motiviert die Kinder noch stärker, wenn sie vor Freunden spielen. Auch wenn sie viel aufgeregter sind, als wenn sie vor anderem Publikum auftreten.“
Markus Obereders Antwort auf die Frage nach dem scheinbar unerschöpflichen Nachwuchs erstaunt, ja erschreckt: „Der Nachwuchs schwindet, besonders im Streichersektor. Am Musikgymnasium gab es in den letzten zwei Jahren, im Vergleich zu den Bläsern, weniger Streicher-Anmeldungen.“
Er führe dies auf Corona zurück, „wo vieles in der Schule über Handy und Zoom gemacht wurde“. Und darauf, dass die Kinder mit verschiedenen digitalen Medien seither intensiver beschäftigt sind. „Diese Art der Freizeitgestaltung ist eine massive Konkurrenz zum täglichen Üben. Wie viel schneller wird man bespaßt über TickTock oder SnapChat im Vergleich zu den immer gleichen Finger- oder Ansatzübungen. Zehn-Sekunden-Videos rasant hintereinander bringen kurzfristig mehr Lustgewinn, als langweilige Tonleitern.“
Um dieser Konkurrenz standhalten zu können, müssten musizerende Kinder und Jugendliche „eine Freude und Motivation entwickeln, die intrinsisch wird, ein Selbstläufer“, sagt Markus Obereder. „Oft setzen sich am Anfang die Eltern beim Üben dazu. Aber irgendwann muss das Kind von sich aus üben und einen Lustgewinn haben am Weitertun.“ Er, so Obereder, schaue „mit Argusaugen“ auf Entwicklungen, wie etwa den sinkenden Aufmerksamkeits-Level. Man müsse „schon ein wenig Angst um die Zukunft haben“. Vielleicht deswegen die sinkenden Anmeldungen: „Ein Streicher braucht halt noch mehr Ausdauer als ein Bläser.“ Ein Bläser mit elf, zwölf Jahren, der täglich eine halbe Stunde übt, komme schnell weiter. „Für einen Streicher oder Pianisten ist eine halbe Stunde gar nichts...“
Fotos: Albert Moser / moser.zenfolio.com (1); privat
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