Fuoco!
SONNTAGSMATINEE / MOZARTEUMORCHESTER
16/10/22 Wie weit sich die Tempo-Anweisungen con brio und con fuoco voneinander im Ergebnis unterscheiden, ist Geschmacks- und vor allem Temperamentsache. Für den Multi-Musiker Jörg Widmann, bei der ersten Sonntagsmatinee des Mozarteumorchesters nicht als Klarinettist, sondern als Komponist und Dirigent aktiv, liegen beide Begriffe ziemlich nahe beieinander.
Von Reinhard Kriechbaum
Der Brio-Schwung, wie ihn Beethoven so oft anregt, führt bei Widmann jedenfalls zu Zündfunken sonder Zahl. Das heißt nicht, dass die Siebente unter seinen Händen und Luftsprüngen zur reinen Tempo-Bolzerei ausartete. Gerade Widmann, als ausübender Holzbläser eingefuchst in die Materie, geht immer quasi vom spielerischen Detail aus. Er baut aus diesem von ihm angeleiteten, von den Musikern des Mozarteumorchesters aber auch mit merklich lustvoller Mitbeteiligung gelegten Puzzle dann die größeren Einheiten, markiert die Spannungsverläufe und spendet reichlich Energie-Input.
So kann man von sehr vielen schönen Einzelheiten berichten, von den aufmerksam abgetönten und melodisch schmeichelnden Bläser-Kolorismen in der langsamen Einleitung weg. Der Trio-Abschnitt imScherzo war, was das Bläsercorps betrifft, nicht minder state of the art, was kammermusikalische Flexibilität betrifft. Sorgsamst ausgehört bis zu jenem letzten Horn-Ton, der leise und doch leicht „schmetternd“ den Übergang zur Scherzo-Wiederholung markierte. Bemerkenswert schön gearbeitet auch jener Abschnitt im zweiten Satz, in dem das Thema von den Streichern als Fugato variiert wird.
Dann freilich der Finalsatz, jene Apotheose des Tanzes, die Wagner in Venedig eben zum Körpertheater verführte (da war freilich kein Orchester zugegen, sondern der alte Liszt sorgte für Tasten-Rumor). Am Sonntag (16.10.) im Großen Festspielhaus gab Jörg Widmann Tanzschritte und Luftsprünge vor, und wie da das Podium dröhnte von seinem Hüpfen und Springen, machte er dem Paukisten ordentlich Konkurrenz. Konditionsstark musiziert war das und entsprechend applaustreibend.
Con Brio geht’s in Jörg Widmanns gleichnamiger Konzertouvertüre zu. Da werden, ganz in Postmoderne-Art, Beethoven-Motive durch den Fleischwolf gedreht und kleinteilig mit viel Kreativität wieder zusammengesetzt. Noch eine Kostprobe für den Komponisten Widmann in der ersten Konzerthälfte: zwei Violinetüden für seine Schwester Carolin, in denen das technisch Machbare ausgelotet wird. Weil Doppelgriffe nicht reichen, sind in der Etüde II auch gesungene Töne verlangt. Die Etüde III ist ein Hummelflug, für den man sich beinahe eine Insektenklatsche zur Selbstverteidigung herbeiwünscht.
Ein Beethoven-Fundstück: Im Alter von 21 Jahren begann er ein Violinkonzert, als Fragment ist der erste Satz auf uns gekommen. Wilfried Fischer hat das Vorhandene schon 1971 arrangiert. Der Konzertsatz C-Dur WoO5 ist ein halbes Jahrhundert lang nicht wirklich bekannt geworden. Wir erleben Beethoven quasi im juvenilen Komponisten-Selbstversuch. Nicht wenig eckig und kantig, mit vielen gediegenen bis grenzgenialen Einfällen – das Stück wirkt ein bisserl wie die Rohskizze zu einem potentiellen Meisterwerk, das eben dann doch nicht ein solches geworden ist. Unbeirrt lyrisch steuerte Carolin Widmann durch das wohl fast jedem im Saal bis dato unbekannte Beethoven-Terrain.
PS: Um die Zusammenarbeit des Mozarteumorchesters mit dem Salzburger Blasmusikverband bekannt zu machen, war vor der Matinee ein Platzkonzert der Bürgerkorpskapelle der Stadt Hallein angesetzt. Als gegen dreiviertel elf so richtig viel Publikum in der Hofstallgasse eintrudelte, hatten die Blasmusiker ihre Instrumente aber schon weggepackt. Keine Meisterleistung des Timings.