Katastrophe und Befreiung
KULTURVEREINIGUNG / FESTKONZERT
10/10/22 Nicht das von den Anfängen an eng mit der Salzburger Kulturvereinigung verbundene Mozarteumorchester, sondern das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin spielte das Festkonzert zum 75-Jahre-Jubiläum. Ach ja, Termingründe... Immerhin, das hochkarätige Gastorchester ist fast genau so alt wie die SKV, wurde es doch anno 1946 als RIAS-Symphonieorchester gegründet. In Salzburg war es bisher ein seltener Gast.
Von Paul Kornbeck
Der japanische Maestro Yutaka Sado, einst Assistent von Bernstein und Ozawa, eilt seit 2015 mit dem Niederösterreichischen Tonkünstlern von Erfolg zu Erfolg; sein Vertrag wurde soeben bis 2025 verlängert. Mit einem wahren „Knallbonbon“ seines einstigen Mentors Leonard Bernstein, der unwiderstehlich spritzigen Ouvertüre zu Candide, sorgte er zu Beginn gemeinsam mit dem brillanten Berliner Klangkörper für gute Laune.
Dann betrat Fazil Say das Podium und spielte Mozarts A-Dur-Klavierkonzert KV 414. Er spielte es nicht, er ließ es neu entstehen. In ständiger Kommunikation mit Dirigent und Orchester musiziert dieser in keine gängige Schublade passende Meisterpianist in seiner mitteilsamen Art und Abgründe nicht vermeidenden Weise all das, was Wolfgang Amadé einst emotional so bewegt hat, dass es uns auch heute noch ergreifen kann. Fazil Say tut dies, und im Großen Festspielhaus ist nichts anderes zielführend, an einem modernen Steinway-Flügel, den er aber mitunter wie ein Fortepiano klingen lässt. Der Dirigent atmet mit ihm, das durchsichtig agierende Streichorchester mit zwei Flöten und Hörnern beweist, wie man auch als ein auf Spätromantik und Moderne geeichtes Symphonieorchester trefflich und einfühlsam die Musik der Wiener Klassik interpretieren kann.
Eigentlich ein eigener Programmpunkt war danach die fulminante und bejubelte Zugabe, Fazil Says Klavierstück Black Earth, in dem sich klassische und moderne Klaviertechnik sowie die Rhythmen und Gesänge des Orients und des Okzidents zu einer „Weltmusik“ im besten Sinne vereinen. Und in dem der Komponist immer wieder so frei improvisiert, wie das auch Mozart getan hatte.
Nach der Pause folgte Pjotr Iljitsch Tschaikowskys „Sechste“, die Pathétique. Ein Requiem für Orchester ist dies, nicht wirklich ein Stück zum Feiern. Doch eben deswegen gerade in dieser Zeit eine gute Wahl. Yutaka Sado ließ das schmerzliche Selbstbekenntnis nie in Sentimentalität umkippen. Er modellierte schon im ersten Satz die sehnsuchtstrunkenen Motive ebenso glasklar wie das gefährlich aufspringende Pathos, er ließ dem Walzer seine in sich kreisende Wehmut, doch nicht so sehr sein Parfüm. Eine Glanzleistung auch des Orchesters waren der gewalttätig phantastische Triumphmarsch, ein verrückter Traum, der nur in eine Katastrophe münden kann. Der Maestro schaffte es, die Spannung zu halten, keine Hand rührte sich zum Klatschen und sofort zog das Adagio lamentoso-Finale in den Bann. Auch in diesem singulären Ende herrschte vor allem Klarheit, ja Schönheit, in der sich die ausweglose Tragik spiegelte.
Darf man danach jubeln? Applaus kann auch Ausdruck einer Befreiung sein und die Ausführenden haben ihre Bravi verdient. Der kurze Trepak aus der Nussknacker-Suite war danach ein sonderbar gespenstisches Aufflackern.