Das Festspieldokument von etwas Überirdischem
CD / FESTSPIELE / GRIGORY SOKOLOV
09/08/16 Wenn Grigory Sokolv auftritt, ist das in jedem Sommer ein Haltepunkt im Festspieltrubel. Wenn dann aber gleich im Jahresabstand zwei CDs mit Live-Aufnahmen aus Salzburg erscheinen, kommen die Musikfreunde ins Laufen...
Von Reinhard Kriechbaum
„Was zwischen zwei Tönen des langsamen Satzes der Hammerklaviersonate passiert – wenn Grigory Sokolov sie spielt – lässt sich wahrscheinlich auch mit dem Vokabular des Quantenphysikers nicht beschreiben. Metaphysiker? Machen die Dinge meist nur komplizierter. Schöpfungstheologen? Werden gern irrational. Und kompliziert oder irrational ist es nicht, was Grigory Sokolov macht. Vielleicht macht er auch nur das - als einer der ganz ganz wenigen im internationalen Konzertbetrieb – was Musiker machen sollten: Die Musik ernst nehmen.“
Das schrieb Heidemarie Klabacher im DrehPunktKultur im Festspielsommer 2013. Es ging um Beethovens Hammerklavier-Sonate in der Exegese jenes Ausnahmekünstlers, über den es in derselben Besprechung hieß: „Sokolov hat - in sich verschlossen, ein Solitär auch im Auftreten - wieder einmal allen gezeigt, wie mit Musik umzugehen wäre.“
Eine Ausnahme ist es ja, wenn überhaupt eine CD von Sokolov erscheint. Über zwanzig Jahre lang hatte sich der Eigenbrötler dem Medium und damit dem Markt verschlossen. Für seine erste Veröffentlichung (2014) nach dieser langen Zeit hatte der russische Pianist ein Konzert gewählt, das er 2008 bei den Salzburger Festspielen gab: Sein Album „The Salzburg Recital“ mit Werken von Mozart und Chopin wurde weltweit von der Kritik gefeiert und im Herbst 2015 mit einem ECHO Klassik ausgezeichnet.
Dieser Tage, also bemerkenswerterweise mit Jahresabstand bloß, brachte die „Deutsche Grammophon“ in der Reihe „Salzburger Festspieldokumente“ ein weiteres Album heraus: „ Es macht deutlich, warum Zuhörer sich nächtelang für Karten anstellen, um die Kunst dieses Pianisten zu erleben“ heißt es nicht ohne Koketterie in einer Presseaussendung der Festspiele.
Sokolovs neue Doppel-CD enthält Aufführungen später Meisterwerke wie Schuberts vier Impromptus D 899 (darunter eine atemberaubende Interpretation des Impromptus Nr. 3 in Ges-Dur) und Beethovens monumentale Hammerklaviersonate. Außerdem Zugaben, mit denen der so introvertiert und zugeknöpft sich gebende Grigory Solov bekanntlich stets höchst verschwenderisch umgeht: fünf Miniaturen von Jean-Philippe Rameau und Brahms’ Intermezzo in b-moll op. 117 Nr. 2.
Die Beethoven-Sonate und die Zugaben wurden live bei den Salzburger Festspielen 2013 aufgenommen und erhielten begeisterte Rezensionen in der Presse sowie Ovationen durch das Publikum. „Seen and Heard International“ schrieb damals über die Encores aus dem französischen Barock, dass „niemand in unserer Zeit, und vielleicht überhaupt noch niemand, Rameau auf welchem Instrument auch immer so hervorragend gespielt“ habe.
Die Schubert-Werke dieses Albums wurden im Mai 2013 im Philharmonischen Konzertsaal in Warschau eingefangen. Auf die vier Impromptus D 899 folgen die drei Klavierstücke D 946, Werke, die der Komponist kurz vor seinem Tod 1828 schrieb.
Im kommenden April veröffentlicht Deutsche Grammophon einen Konzertfilm des preisgekrönten Regisseurs und Dokumentarfilmers Bruno Monsaingeon – „Live from the Berlin Philharmonie“ – mit demselben Programm wie Sokolovs neues Album. Denn eines ist für Sokolov nach wie vor tabu: sich zur Aufnahme in die sterile Atmosphäre eines Aufnahmestudios zu begeben.