An der Achse Prag-Kremsier-Wien
CD-KRITIK / VIOLINSONATEN
15/02/16 Wer sich mit Violinmusik des süddeutsch-österreichischen Raums im Umkreis der komponierenden Habsburger Ferdinand II. und Leopold I., also in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts beschäftigt, wird beinah zwangsläufig auf die Bibliothek der einstigen erzbischöflichen Residenz Kremsier – heute für uns ziemlich unaussprechlich: Kroměříž – stoßen.
Von Reinhard Kriechbaum
Das imposante Schloss liegt in Mähren, etwa auf halbem Weg zwischen Brünn und Olmütz. Es war die Wirkungsstätte Heinrich Ignaz Franz Bibers, bevor er an den Salzburger Hof kam. An der wichtigen Musik-Achse Wien-Prag war Kremsier ein Kulmisationspunkt barocker Musikpflege. Auch das jetzt im Wiener Minoritenkonvent aufbewahrte Manuskript XIV 726, Musikwissenschaftern eher ein Begriff als ausübenden Musikern, weist letztlich dorthin.
Als Etüdensammlung ist das Konvolut vermutlich entstanden, im Jahrzehnt vor 1700. Es bietet ein repräsentatives Bild für den Geigenstil der Zeit à la Schmelzer, Bertali und Biber. Nicht auf die prominenten Namen sind die Geigerin Stéphanie Paulet und ihre Orgel-Partnerin Elisabeth Geiger aus. Zwar haben sie zwei repräsentative Werke von Biber und eines von Giovanni Buonaventura Viviani dazu genommen, in der Hauptsache aber Stücke weniger bekannter Komponisten und eine Handvoll anonym überlieferter Sonaten: Johann Caspar Teubner etwa wirkte in Wien, Jan Ignác František Vojta war Arzt und Violinist in Prag, Nikolaus Faber hielt sich eine Zeitlang in Kremsier auf. Einige Werke verlangen erwartungsgemäß nach der damals beliebten Skordatur, also dem Umstimmen der Geigensaiten des Klangbilds wegen. Man kennt das aus Bibers Rosenkranz-Sonaten.
In der Interpretation durch Stéphanie Paulet ist die Verwendung des Vibratos als Stilmittel zur Hervorhebung einzelner markanter Töne auffallend. Mit Maß, versteht sich. Dass die häufigen Tokkaten-Episoden und (gegenüber Biber und Muffat eher weniger stark vertretenen) Passacaglia-Sätze nach Kräften „sprechend“ artikuliert werden, ist ohnedies Voraussetzung. Gustostück: die begleitende Orgel, das einzige erhaltene Positiv von Gottfried Silbermann.
Mit neun Stücken schöpft man nur rund ein Zehntel der Wiener Minoritenkloster-Handschrift aus.
Minoritenkonvent – Biber, Viviani, Vojta, Faber, Toibner. Aliquando (Stéphanie Paulet, Violine, Elisabeth Geiger, Orgel). Muso, mu-008 – www.muso.mu