Weit unterschätzt
CD-KRITIK / GOTTFRIED AUGUST HOMILIUS
20/02/14 Das Bemühen um einen Kantorenposten irgendwo in einer evangelischen Kirche im Barock: Man darf sich das Gerangel etwa so vorstellen, wie wenn jetzt an einer städtischen Bühne das Amt des Chefdirigenten frei wird. Es fehlte nicht an qualifizierten Mitbewerbern, die Konkurrenz war enorm.
Von Reinhard Kriechbaum
Nicht viel besser hat es die Nachwelt gemeint. Neben Bach blieb wenig Wahrnehmungs-Kapazität. Einer der „nur“ die vertraute musikalische Rhetorik der Zeit weiterschrieb – und sei es im Detail noch so erfindungsreich –, landete in der sprichwörtlichen Versenkung. Gottfried August Homilius (1714-1785), ab 1742 Organist an der Dresdner Frauenkirche, ab 1755 Kantor an der Kreuzschule, ist einer aus dieser Schar. 180 Kantaten hat der Bach-Schüler geschrieben, mehr als zehn Oratorien und Motetten zuhauf: Da ist, natürlich nicht, die latente Tiefe von Bach, auch nicht die verlässliche Originalität und Experimentierlust eines Telemann. Aber sehr wohl das absolut sicher eingesetzte Handwerk und der damals gefragte Erfindungsreichtum, sich den empfindsamen Stil anzuverwandeln.
Der Carus Verlag macht sich sehr verdient um das Schaffen dieses Gottfried August Homilius, über den ein Zeitgenosse befand, er sei der „wohl jetzt ausgemacht beste Kirchenkomponist“. Zehn CDs sind es zum gegenwärtigen Zeitpunkt, zu Beginn des Homilius-Gedenkjahres (300. Geburtstag). Man achtet auf Vielfalt der Ausführenden. So hat sich etwa Frieder Bernius mit dem Stuttgarter Kammerchor der ersten CD mit Motetten gewidmet. Die aktuell erschienene zweite Folge hat Stefan Schuck mit seiner klein besetzten Gruppe „sirventes berlin“ aufgenommen.
„Habe deine Lust an dem Herrn“ ist das Stück, das der CD das Motto gegeben hat und es ist gleich die beste Demo, wie formal vielfältig diese Kompositionen Homilius‘ sind. Da steht quirligste Polyphonie neben fulminant doppelchörigen Effekten. „sirventes berlin“ (das Kammerensemble ist mit seinem all-samstägigen „NoonSong“ in der Berliner Chorszene) bringt die Beweglichkeit mit, wie sie diese Musik voraussetzt. Es sind Gustostücke, man nehme nur die geradezu frivole melodische Frische des „Magnificat“: Da löste sich Gottfried August Homilius nicht nur von allen üblichen Schemata seiner Zeit, sondern auch vom üblichen Pietismus.
„Handel’s Company“ und „Handel’s Company Choir” unter Rainer Johannes Homburg legen eine Auswahl von Kirchenkantaten vor. Warum toben die Heiden? Bevor der Alt in einer ausufernden Arie darauf die theologische Antwort gibt, heißt es, sich fest anzuhalten, denn da geht es wirklich rund. Und auch in der Arie, in der beruhigt wird, was geht, melden sich im Mittelteil plötzlich bedrohlich die Naturhörner zu Wort, wie aus dem Hinterhalt. Übermut ist nicht angebracht, auch nicht am Sonntag nach Neujahr, für de diese Kantate gedacht war. Duftig ist der Chorklang auf den Text „Frohlocke, Zion, dein Erlöser“, wie es der optimistischen Stimmung am Sonntag Laetare (3. Adventsonntag) wohl ansteht.
Hingegen wird mancher Gottesdienstbesucher in der Dresdner Frauenkirche die Ohren gespitzt haben, wenn die Oboe, die Violine und das Violoncello im Trio klagen, bevor der Tenor zu den Worten „In der Zeit meiner Not“ so recht nach Mitleid heischt. Marie-Pierre Roy, Henriette Gödde, Knut Schoch und Markus Köhler sind die Solisten, eine so homogene wie stilkundige Sängergruppe, die merklich auch davon profitiert, dass Homilius ein ins Tagewerk eingefuchster Komponist war. Die einprägsamen Melodien und geschmeidigen Koloraturen gehören wahrscheinlich zum Dankbarsten für die Ausführenden, was die Epoche zu bieten hat.