Zu Unrecht vergessen
CD-KRITIK / PAUL GRAENER
11/09/12 Paul Graener war während des 1. Weltkriegs Direktor des Mozarteums. 1944 starb er in Salzburg, seine nicht mehr zu entziffernde Urne ruht in der Gruft der Namenlosen auf dem Kommunalfriedhof. Eine erste CD der NDR Radiophilharmonie unter Werner Andreas Albert widmet sich erstmals seinem Gedächtnis.
Von Horst Reischenböck
Paul Graener? Den Autoren der als „Standardwerk“ hoch gelobten „Salzburger Musikgeschichte“ (2005) war er keine Erwähnung wert. Constantin Schneider in seiner „Geschichte der Musik in Salzburg“ widmete ihm 1935 noch immerhin knappe fünf Zeilen. Wer sich über Paul Graeners Wirken hier einigermaßen informieren möchte, muss zu Karl Wagners Buch „Das Mozarteum“ von 1993 greifen.
Der gebürtige Berliner wurde 1910 zum Direktor der Musikschule berufen. Bis 1914 entwickelte Graener Ambitionen in Richtung Konservatorium, die aber erst nach seinem Abgang langsam verwirklicht werden sollten. Auch seine Idee, damals berühmte Interpreten wie den Komponisten Eugen d’Albert, den Konzertmeister der Wiener Philharmoniker Arnold Rosé oder die Sängerin Anna Bahr-Mildenburg für Sommerkurse als Professoren zu verpflichten, wurden erst mit der später ins Leben gerufenen Internationalen Sommerakademie Wirklichkeit. Lange Jahre hindurch hing Paul Graener wohl auch das Verdikt nach, als Nachfolger Wilhelm Furtwänglers zumindest bis 1937 Vizepräsident der Reichskammer gewesen zu sein. Da Graener, der übrigens seit 1909 britischer Staatsbürger geworden war, seine arische Abstammung nicht dokumentieren konnte, wurde ihm dann auch die Leitung einer Meisterklasse an der Preußischen Akademie der Künste entzogen.
Immerhin: Arturo Toscanini dirigierte noch in den vierziger Jahren seine Kompositionen, die erst nach 1945 aus den Konzertprogrammen verschwanden. Zu Unrecht, wie die hier nun erstmals eingespielten Werke vermuten lassen.
Das zeitlich Früheste, die „Musik am Abend“ op. 44, ist zusammen mit anderen Orchesterwerken in Salzburg entstanden. Ihm stellte Paul Graener, der eigentlich Autodidakt war, ein Gedicht Hugo von Hofmannsthals voran. „Hörtest Du denn nicht hinein“ inspirierte ihn zu drei idyllischen Sätzen für kleine Besetzung, deren Streicher zuletzt reizvoll auf zwei Orchester aufgeteilt werden.
Über das von Mili Balakirews veröffentlichte Lied der Wolgaschlepper, vertont von Aleksandr Glasunow, Igor Strawinsky, und Manuel de Falla, hat Paul Graener zehn eindrucksvolle „Variationen über ein russisches Volkslied“ op. 55 geschrieben und dem berühmten Dirigenten Arthur Nikisch gewidmet. Das war 1920, als er Nachfolger von Max Reger in Leipzig geworden war. Besonderer Aufführungserfolg, nicht zuletzt im Ausland, war der farbig instrumentierten „Comedietta“ op. 82 beschieden. So dirigierte beispielweise Erich Kleiber die Erstaufführung des knappen Einsätzers in New York.
Als typisches Beispiel von Graeners neoklassizistisch beeinflusster Tonsprache rundet die Sinfonia breve op. 96 von 1932 die Werkfolge ab, der sich die Musiker, durch Werner Andreas Albert hörbar beflügelt, engagiert widmeten. Man darf auf eine Fortsetzung hoffen, denn wie man hier hört, ist eine Aufführung von Graeners Werken nicht bloß von historischem Interesse.