Sein und Schein
CD-KRITIK / HAYDN / KAMMERMUSIK
04/01/10 Stimmt schon: Haydns historischer Verdienst ist die "Erfindung" des Streichquartetts, und als solcher nimmt er ja auch den gebührenden Raum in den Konzertprogrammen. Aber wie man hier sieht: Es gäbe noch viel, das im Konzertsaal so gut wie nie mehr vorkommt.
Von Reinhard Kriechbaum
Bassetthörner: Bei kaum einem Instrument fallen äußerer Schein und Klang so weit auseinander. Das hölzerne Rohr ist stumpfwinklig geknickt, am unteren Ende befindet sich ein eigenartiger kastenförmiger Block, und aus dem steht, ein metallener Schallbecher nach unten heraus. Irgendwie sieht das aus wie der daneben gegangene Prototyp eines Klarinetten-Bastlers. Aber in Wirklichkeit ist das Bassetthorn natürlich ein vollgültiges und vor allem eigenständiges, überraschend weich klingendes Instrument. Es kann geschmeidig-melodiös "singen", aber mit dem Bassetthorn lassen sich auch gleich gut kräftige rhetorische Akzente setzen. Mozart hat das gewusst und das Bassetthorn da und dort in Opernarien und in der Kammermusik eingesetzt.
Groß ist die Originalliteratur nun freilich nicht. Also machte sich das französische "Trio di Bassetto" (Jean-Claude Veilhan, Éric Lorho, Jean-Louis Gauch) auf der Suche nach Repertoireerweiterung. Fündig wurde man bei Joseph Haydn. Da schlummern ja immerhin nicht weniger als 126 Baryton-Trios in den Archiven. Weniges davon wird gespielt - und das viel zu selten. Haydn hat für seinen Dienstgeber Nikolaus Esterházy, einen Liebhaber des Barytons, praktisch jedes Monat ein neues Trio geschrieben. In der Besetzung Baryton, Bratsche, Bass kommen diese Stücke dem Tonumfang der Bassetthörner gut entgegen - und weil sich gerade in dieser vermeintlichen "Alltagsproduktion" Haydns sein Erfindungsgeist in Melos und Satz unmittelbar niedergeschlagen hat, ist die Adaption mehr als lohnend: eigentlich hochkarätige Pretiosen in neuer klanglicher Fassung, musikantisch aufpoliert.
Was aber macht ein Bassetthorn-Trio, wenn im Streicher-Original Pizzikati stehen? An diesen Stellen hört man jeweils ein feines "Bimm", und diese Extravaganz wirkt wie die exotische Würze im Bläserklang. Die drei Herren vom "Trio di Bassetto" sind nämlich im musikalischen Nebenberuf auch Kammermusiker auf Gläsern - nicht auf der Glasharmonika, sondern auf gestimmten Gläsern, die am oberen Rand mit den Fingern gestrichen werden. Einen langen Adagio-Satz aus dem Baryton-Trio Nr. 123 stellen sie überhaupt auf Gläsern vor, und für die Pizzicati klopfen sie eben auf ihre Gläser …
Kann man an den Bassetthorn-Trios, so man sie denn im Querschnitt mal zu hören bekommt, gut ablesen, wie Haydn sich am Esterházy'schen Hof Schritt um Schritt zum "Originalgenie" entwickelt hat, so spiegeln seine Trios für Klavier, Flöte und Violoncello Hob. XV:15-17 reifste Meisterschaft. Da kam 1789 der Londoner Verleger John Bland als Sendbote des Impresario Peter Salomon zu Haydn nach Esterháza, um Haydn zur Konzertreise nach London zu bewegen. Aus dem Anlass hat Haydn gleich so etwas wie zusätzliche Visitenkarten mitgegeben, diese Trios eben. Das ist nun nicht hochrangige fürstliche Hausmusik wie die Baryton-Trios, sondern mit diesen Stücken hat Haydn sehr bewusst PR in Sachen eigener Genialität betrieben. Annie Laflamme (Traversflöte), Dorothea Schönwiese-Fuschlbauer (Violoncello) und Richard Fuller (Hammerklavier) stellen diese in ihrem musikalischen Gehalt schwergewichtigen, aber im Tonfall eben doch leichten und pointenreichen Stücke merklich gut gelaunt vor..