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Kein Turngerät für Verzierungen

FEUILLETON / HARNONCOURT / MOZARTWOCHEN-DEBÜT

05/12/23 Der 5. Dezember ist Mozarts Todestag. Der 6. Dezember ist Nikolaus Harnoncourts Geburtstag. Die Gründe, an die Gedenktage gemeinsm zu erinnern, sind Aufführungsgeschichte. Ein Meilenstein ist brandaktuell nachzuhören: In der Edition Stiftung Mozarteum erschien Nikolaus Harnoncourts Debütkonzert bei der Mozartwoche 1980.

Von Heidemarie Klabacher

Nikolaus Harnoncourts Zugang – nicht nur zu Mozart natürlich – ist bis zu seinen letzten Aufnahmen und Konzerten lebendig und überraschend geblieben. Der große Dirigent ist nie stehen geblieben, hat sich selbst und die Werke, die er sich vorgeknöpft hat, immer wieder neu erfunden. Der vorliegenden Archiv-Aufnahme aus 1980 eignet nichts Historisches!

Das beginnt gleich bei der ersten Nummer auf der Archiv-CD, der Zauberflöten-Ouvertüre. Diese Transparenz! Diese Hochspannung im Pianissimo vor jedem Aufschwung ins Forte! Dieses Forte, dessen Spannung umgekehrt schon im Pianissimo angelegt ist. Die glasklar nachhörbaren Einsätze und Linien der Streicher. Die kleinen Schocks (später sollten diese dann noch viel heftiger und dramatischer ausfallen) ausgelöst von Blech und Pauke im Angriffsmodus... Das gilt nicht nur für Harnonocurts Einstieg in die Zauberflöte. All das ist „Standard“ heutiger Mozart-Interpretation. An diesem 29. Jänner 1980 hat Nikolaus Harnoncourt jenen Goldstandard für Mozart-Interpreation festgelegt.

43 Jahre später noch kann sich dieser „Harnoncourt“ in einer Reihe mit den Lesarten vieler jüngerer, viel wilderer Kolleginnen und Kollegen behaupten. Eroberte mit seinem lebenslang erarbeiteten klangrednischen Ansatz im Sturm das klassisch-kritische Mozartwochenpublikum. Und setzte Maßstäbe, hinter die niemand mehr zurückkonnte. Dass Harnoncourt dort nicht stehenblieb, sondern noch Jahre und Jahrzehnte weiterdachte, was eh schon revolutionär war, ist das Faszinierende an dieser singulären Dirigentenpersönlichkeit.

Das Oboenkonzert KV 314 ist ein vergleichweise „liebliches“ Werk. Der Schwung des Allegro aperto auf der Archiv-CD ist mitreißend, die Dialog mit dem Solisten folgt spielerisch Schlag auf Schlag. Und auch hier sieht man aus 43 Jahren Distanz das Ingenium Harnoncourts, der die Dinge immer nur dort forciert hat, wo es aus der Musik herauskommt. Nie hat er Effekte produziert, um der Effekte willen. Die langsamen Sätze in der Lesart Harnoncourts waren immer Highlights. Das Andante der Haffner Sinfonie KV 385 kommt verleichsweise lebhaft daherher und lässt doch in einzelnen Momenten schon an die atemberaubend gedehnten Akkorde denken, in denen der „späte“ Harnoncourt die Welt und das All hat zum Stillstand kommen lassen.

In Kooperation mit dem Label Belvedere hat die Stiftung Mozarteum Nikolaus Harnoncourts Debütkonzert bei der Mozartwoche 1980 aus dem Archiv gehoben und herausgebracht. Auf zwei weiteren CDs in dem Album ist als Bonusmaterial der Mitschnitt eines Orchesterworkshops aus 2006.

Man konnte Harnoncourt ja stundenlang zuhören, seine launigen Beispiele sind legendär. Ein Gustostückerl ist der Track zum Thema „Wiederholungen“, einem Lieblingsthema Harnonocurts, das er in neuen Varianten dargelegt hat. So auch anno 2006 bei einem Orchesterworkshop mit der Camerata Salzburg mit der Arbeit an der g-Moll Sinfonie KV 183. Da unternahm Harnoncourt einen einen Exkurs in den Gesang: „Wiederholungen sind KEIN Turngerät für Verzierungen. Die da capo-Arie ist ja nach neuester Rechssprechung ein Teil der sturen Opera Seria“. So Harnoncourt 2006. Man müsse beim da capo die Verzierungen manchen, weil das ham' ma eh schon gehört: „Das ist ein wahnsinniger Irrtum. Eine Wiederholung nach einer neuen Information ist keine Wiederholung.“ Im A-Teil wird etwas gesagt: Ich bin verzweifelt. Das wird im B-Teil erklärt. Launige Beispiele für mögliche B-Teile: „Meine Frau hat mich verlassen. Mein Kind hat sich den Daumen eingezwickt. Ich hab heute nicht geschlafen.“ Die Wiederholung der Aussage des A-Teils mit dem Wissen des B-Teil sei jedenfalls ine völlig neue Aussage. „Die Verzierungen sind kein Sport für den Verziernden. Dieser ist nur dann gut, wenn seine Verzierungen den Sinn noch deutlicher machen.“

Vor fünfzig (!) Jahren habe er, so Harnoncourt 2006, alle Verzierungen nach den alten Lehrbüchern ausgeschrieben. „Wir konnten das richtig gut.“ Und er komme wieder davon ab: „Die Verzierungen sind mehr für die Zeitgenossen.“ Exakte alte Verzierungen heute gepielt? „Das ist wenn Sie auf ein modernen Haus ein barockes Schnörksel drauf machen. Das ist eine Fälschung irgendwie. … Wir sprechen letzlich die Sprache unserer Zeit.“ Fünfzig Quellen zu Mozart lesen könne jeder. Man könne dabei auch alles „richtig“ machen. „Aber alles richtig machen ist gut für ein Seminar auf der Uni.“ Wir spielen ja nicht um zu sagen, So war das damals. Wenn wir so spielen wie damals werden wir sofort Museumswärter. Die Musik muss man nicht aktualisieren, die ist aktuell.“

Nikolaus Harnonocurt: Debüt. Concertgebouw-Orchester, Werner Herbers, Oboe. Edition Belvedere - Edition Stiftung Mozarteum BVE08071
Bild: Booklet / Elisabetta Zeccara

 

 

 

 

 

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