Ehre für Mozart und Süßmayr
CD-KRITIK / MOZART / HOWARD ARMAN
05/12/23 Von 1983 bis 2000 hat Howard Arman als Künstlerischer Leiter des Bachchors in Salzburg gewirkt. Von 1998 bis 2013 war er Leiter des MDR-Rundfunkchors Leipzig, von 2016 bis 2022 stand er dem Chor des Bayerischen Rundfunks vor. Mit diesem Chor und der Akademie für Alte Musik Berlin hat er Mozart-Referenzaufnahmen vorgelegt, etwa des Requiems und der c-Moll-Messe.
Von Reinhard Kriechbaum
Man kann es abtun als gar absonderliches Aperçu der Musikgeschichte – oder als ein Musterbeispiel für die Mozart-Rezeption, die sehr rasch nach seinem Tod einsetzte. Der Salzburger Sigismund Ritter von Neukomm (1778-1858) hat, wiewohl frühreifes Wunderkind, Mozart in seiner Heimatstadt nicht mehr bewusst erlebt, sehr wohl aber über seinen Lehrer Michael Haydn quasi „Mozarts Geist“ mitbekommen. Aus Neukomm wurde ein Weltenbummler, er war in Paris genau so umtriebig wie in St. Petersburg und – als Kapellmeister am Kaiserhof von Johann VI. – in Rio de Janeiro. Dort hat Neukomm, aus Anlass der Erstaufführung des Mozart-Requiems 1821 in Brasilien, dieses Werk um ein Libera me, Domine bereichert. Nicht ungeschickt ist Neukomm für das wirkungsvolle Sieben-Minuten-Stück mehr oder weniger Noten- und Satz-getreu von Motiven aus dem Dies irae ausgegangen – dreißig Jahre nach Mozarts Tod ist das dann doch eine ganz andere Sprache, aus der eher Beethoven oder Diabelli spricht.
Ein wirkungsvolles Libera jedenfalls, eine gute Ergänzung zum Requiem, wie es Howard Arman mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks und der Akademie für Alte Musik Berlin eingespielt hat. Eine Referenzaufnahme, gerade was dem Umgang mit dem Requiem-Ergänzer Franz Xaver Süßmayr betrifft. Der hat diese seine Funktion im Jahr 1800 gegenüber dem Verlag Breitkopf & Härtel mehr als zurückhaltend beschrieben. Das Requiem sei „für den größten Theil der lebenden Tonsetzer so unerreichbar, dass jeder Nachahmer mit unterschobener Arbeit noch schlimmer wegkommen würde, als jener Rabe, der sich mit Pfauen-Federn schmückte“. Süßmayr wollte nicht fremdfederngeschmückter Rabe sein, und so taucht sein Name erst Jahrzehnte später auf in den Requiem-Drucken.
Howard Arman versucht, Süßmayr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und säubert die von ihm komponierten Teile (Sanctus, Benedictus, Agnus) von nachträglichen Retuschen. Die Begründung: Süßmayr als Mozarts Schüler sei ja so nahe gewesen, dass auch seine Neukompositionen Authentizität verkörperten. Diese seien durch wohlmeinende Verbesserungen verloren gegangen, ohne für Mozart etwas zu bringen.
Anders sieht Howard Arman jene Teile, in denen Süßmayr auf Mozarts vorhandene Fragmente aufbaute. Da vertraut er sich selbst mehr als dem Mozart-Schüler. Vom Kyrie-Abschnitt im Eröffnungssatz bis zu den beiden Offertorium-Abschnitten hat er also selbst Hand angelegt. Es sind keine radikalen Neuerungen, Arman baut durchaus auf Süßmayr auf. Am Markantesten sind da und dort Akzentuierungen im Bläsersatz. Eine echte Extravaganz betrifft den Abschluss des Dies irae, das Lacrimosa: Das bricht ja nach ein paar Takten ab. Im Gegensatz zu Süßmayrs Lösung entwickelt Howard Arman den Abschnitt aus dem bestehenden Motivmaterial weiter, und er setzt ans Ende eine Respekt gebietende Amen-Fuge, deren Thema er aus der Umkehrung des Fugenthemas vom Eröffnungssatz gewinnt. Das besticht vor allem auch, weil die Proportionen des vielteiligen Dies irae dadurch gerundet werden.
Eine dramaturgisch sinnvolle Werkanordnung: Dem Mozart-Requiem samt Neukomm-Abrundung schickt Arman die Vesperae solennes de Confessore voraus – eines jener Stücke, in denen sich Mozarts unglaublich kreativer Umgang gerade auch mit der Instrumentation am Unmittelbarsten erschließt. Da sind quasi die Ohren geschärft fürs Kommende, fürs Requiem in der gewissenhaften Neueinkleidung von Arman und eben auch für den „authentischen“ Süßmayr.
Für Mozarts Kirchenmusik bleiben von den Jahren Howard Armans als künstlerischem Leiter des Chores des Bayerischen Rundfunks von 2016 bis 2022 drei Einspielungen, denen man das Attribut „Referenzaufnahme“ zubilligen muss. Das hat mit einer Studioaufnahme der c-Moll-Messe in einer Rekonstruktion bzw. Vervollständigung von Clemens Kemme im Jahr 2018 begonnen. Es folgte 2020 als Live-Mitschnitt eben das Requiem mitsamt Bekenner-Vesper und dem Neukomm-Libera. Requiem und c-Moll-Messe erschienen jeweils als Alben mit einer weiteren CD mit Wissenswertem zu den Werken, der konkreten Interpretation und des musikgeschichtlichen Umfelds („Wege zur Musik“). Schließlich folgten die Krönungsmesse mit den Vesperae solennes de Dominica, 2022 ebenfalls im Herkulessaal aufgenommen 2022 – eine geradezu bukolische Abrundung von Howard Armans Mozart-Projekt. Das österliche Alleluja kommt ja leider nicht vor im Ordinarium der katholischen Messe – aber aus der 1779 am Ostersonntag im Salzburger Dom uraufgeführten Krönungsmesse spricht der österliche Jubel, wenn Arman pointiert auf den „Kippeffekt“ zwischen eingängiger Leichtigkeit und den akkurat gelenkten Bläsereinsätzen baut, die das Festliche des Anlasses betonen.
So wie Neukomm im Requiem, hat übrigens Antonio Salieri das Besondere in der Krönungsmesse erkannt und zu würdigen gewusst. Der schrieb, dass er für die Krönungen von Leopold II. (1790) und Franz II. (1792) in Frankfurt zum deutschen Kaiser, außerdem für Leopolds II. Krönung auch zum böhmischen König jeweils „fast genau die gleiche Musik“ angesetzt habe – eben auch die Krönungsmesse.
Mozart: Messe c-Moll KV 427. BR Klassik 900917
Mozart: Requiem d-Moll KV 626, Vesperae solennes de Confessore C-Dur KV 339; Neukomm: Libera me, Domine. BR Klassik 900926
Mozart: Krönungsmesse KV 317, Vesperae solennes de Dominica C-Dur KV 321. BR Klassik 900530
Chor des Bayerischen Rundfunks, Akademie für Alte Musik Berlin, Ltg. Howard Arman
Bild: BR / Astrid Ackermann
Mozarts Requiem ist heute Dienstag (5.12.), am Todestag des Komponisten, um 19.30 Uhr im Großen Saal des Mozarteums zu hören. Louis Langrée dirigiert den Bachchor Salzburg und das Mozarteumorchester. Zuvor erklingt die Musique funèbre à la mémoire de Béla Bartók von Witold Lutoslawski – mozarteum.at