Bach und um Bach herum
CD-KRITIK / MIDORI SEILER
18/17/23 Die japanische Geigerin aus der Salzburger Schmiede von Sándor Végh und Helmut Zehetmair hat eins ihrer Zelte in Köthen aufgeschlagen. Als Ergebnis präsentiert eine jüngst erschienene CD ein Programm des Festivals Bachfesttage aus dem Vorjahr: Das dortige BachCollektiv unter Midori Seilers Leitung lässt damit die Herzen aller Bach-Fans höher schlagen.
Von Horst Reischenböck
Das kleine Fürstentum Köthen, heute Kreisstadt in Sachsen-Anhalt, war um 1700 innerhalb Deutschlands ein Hotspot instrumentaler Musikausübung und Pflege: Dank des kunstsinnigen Fürsten, der aus Berlin entlassene Instrumentalisten an seinen Hof band, an dem der noch jugendliche Johann Sebastian Bach ein halbes Dutzend an Jahren sein schöpferisches Talent nach Herzenslust erproben und ausleben durfte und konnte.
Bach war dort kein Einzelgänger. Ihm zur Seite standen interessante, selbst kompositorisch tätige Kollegen. Nicht zuletzt nach Kenntnisnahme der neuen Aufnahme wäre es unfair, diese zu bloßen „Kleinmeistern“ im übermächtigen Schatten des großen Bach abstempeln zu wollen. Die Kollegen gingen nur von damals üblichen Voraussetzungen aus, Interpreten nicht sklavisch an bis ins kleinste Detail Vorgegebenes zu binden. Sie ließen Freiräume zur Gestaltung offen.
Solche Werke wollen von Ausführenden gleichsam „aufgepäppelt“, ergänzt, werden: Wie im Fall eines noch hörbar am Vorbild Antonio Vivaldi orientierten, jedoch in seiner Art durchaus darüber hinaus gehenden e-Moll-Violinkonzerts des 1730 verstorbenen Johann Spieß. Er war erster Geiger am Hof (Bach war der Taufpate seiner Kinder). Eine reizvolle Streichersuite des Konzertmeisters Georg Linike verdankt ihre Wirkung musikwissenschaftlich gekonntem „Auffüllen“ ihres überlieferten Notentexts, gepaart mit spontan improvisatorischem Dazutun. Genauso die D-Dur-Sonate für zwei Violinen von Bachs Amtsvorgänger Augustin Reinhard Stricker, die auch die Aufmerksamkeit des bedeutenden Kollegen Johann Georg Pisendel in Dresden erregte. Allesamt funkelnd aufbreitete Kleinodien, absolut wert in Erinnerung gerufen zu werden.
Auf der CD wird das Ganze abgerundet und „erhöht“ durch die Rückführung zweier Konzerte Bachs für Tasteninstrumente aus Leipziger Tagen in deren Urgestalt für Streicher aus Köthen. Midori Seiler, die schon im dortigen Schloss alle Solosonaten und Partiten spielte, hat die Werke rekonstruiert und ist, im Vergleich mit den vom Neuen Bachischem Collegium Musicum Leipzig zum Jubeljahr als Appendix vorgelegt ersten Versuchen, zu durchaus eigenständig überzeugenden Fassungen gelangt.
Mehr virtuos dramatisch akzentuiert vom Köthener BachCollectiv das prächtig aufrauschende Konzert D-Dur für drei Violinen BWV 1064R. Während am Konzert g-Moll 1056R sofort auffällt, dass Midori Seiler der Ansicht Joshua Rifkin folgt und als Binnensatz die Sinfonia zur Kantate BWV 156 einbindet, deren Ursprung wiederum in einem Oboenkonzert Bachs vermutet wird. Karl Suske und seine Kollegen aus Leipzig wagten 1985 nur eine simple Kadenz.