Beethoven für aufgeweckte Ohren
CD-KRITIK / GIANLUCA CASCIOLI / RICCARDO MINASI
08/02/22 Sie haben zwar das Rad nicht neu erfunden, aber gewohnte Traditionen raffiniert hinterfragt – die beiden Italiener Ginaluca Cascioli und Riccardo Minasi, die altersmäßig nur ein Jahr trennt. Aufregend ihre Lesart der Beethoven Klavierkonzerte Vier und „Sechs“. Letzteres ist die kaum gespielte Klavierfassung des Violinkonzerts. Hoch interessant und diskussionwürdig!
Von Horst Reischenböck
Der Auftakt zu einer geplanten – hoffentlich tatsächlich zu verwirklichenden – Gesamtaufnahme von Beethovens Konzertschaffens zusammen mit dem Ensemble Resonanz lässt Hoffnung wach werden. Insofern, als penible Quellenforschung Neues und damit Gewohntes in Frage stellendes aufs Tapet gebracht hat. Wem das zu radikal dünkt, mag sich ja hochgelobten Verfechtern zuwenden, die als selbsternannte Apostel bis Heute den bekannten Pfaden folgen.
Auffällig gleich der Beginn. Der Pianist Ginaluca Cascioli arpeggiert als Einstieg in Beethovens Konzert Nr. 4 G-Dur op. 58 den Anfangs-Akkord. So wie es vor 35 Jahren bereits Steven Lubin als Solist mit Academy of Ancient Music tat. Damit befolgt wird jene Beethovens Schüler Carl Czerny zugeschriebene Angabe „So wie der antike Sänger zunächst prüfend über die Saiten seiner Lyra streift“. Orpheus ist ja nicht von ungefähr der Untertitel des Werks
Gemäß Nikolaus Harnoncourts Idee der Klangrede folgt weich die Antwort des Tutti auf das Solo und spitzt sich alsbald umso dramatischer zu. Einmal mehr zeigt Riccaardo Minasi mit hervorragenden Instrumentalisten, dass es – vielleicht abgesehen von Inventionshörnern und Naturtrompeten – nicht historischer Instrumente bedarf, um sich schlüssig einem authentischen Klangbild zu nähern. Ginaluca Cascioli wiederum reichert seinen Part im Verlauf in der Durchführung mit von ihm im Manuskript aus dem Wiener Musikverein entdeckten Zusätzen an.
Extrem scharf punktiert schleudert das Ensemble Resonanz im Andante con moto dann furchterregend die unbeugsam tönenden Argumente der Furien Orpheus‘ Flehen entgegen. Im Finale verbrüdern sich die Holzbläser ausgezeichnet mit den spannungsgeladen vibratolos argumentierenden Streichern, über denen Minasi und Cascioli die Mänaden förmlich sich zerfetzen lässt.
Bis heute ist sich die Fachwelt nicht einig darüber, wie viele Klavierkonzerte Beethoven tatsächlich komponiert hat. Die vorliegende CD nummeriert an sechster Stelle (und somit chronologisch eigentlich falsch) die Klavier-Fassung des Violinkonzerts D-Dur als op. 61a. Auf Anregung des Verlegers Muzio Clementi entstand damals ein absolut eigenständiges Werk mit weit mehr als bloßer Übertragung des Soloparts gür Geige auf den Flügel. Zu Unrecht und wohl auch aus Unkenntnis wird op. 61a von den Pianisten meist links liegen gelassen. Ausnahmen sind Daniel Barenboim, Peter Serkin, der aus dem Mozarteum hervorgegangene Dejan Lazić – und nun eben Ginaluca Cascioli.
Riccardo Minasi mobilisiert im Kopfsatz von Anbeginn an bewusst schier überbordende Energieschübe im Kontrast zu beinah schon überdehnten Gereralpausen: Eine Folie, auf der sich Cascioli in absolutem Einverständnis so selbstverständlich wie nachdenklich entfaltet. Ein tiefsinniger Genuss, bis in die berühmte Kadenz für den Solisten der Uraufführung (Erzherzog Rudolph). Pointiert Getroffen der singulär geniale Einsatz der Pauken. Das erste Allegro im Flügel klingt dagegen fast Harfen-ähnlich aus. Zart ausformuliert gerät das nachdenkliche Larghetto zu einem lyrischen Dialog mit den Holzbläsern, gefolgt von dem an Spieldosenmechanik gemahnende Solo, dem Signal zum Aufbruch ins Rondo mit seinen freudig auftrumpfenden Jagdhorn-Einwürfen. In Summer: Eine auf besondere Art aufhorchen machende bedenkenswerte Aufnahme!
Ludwig van Beethoven Piano Concertos Nos. 4 op. 58 & ‘6‘ op. 61A: Gianluca Cascioli / Ensemble Resonanz / Riccardo Minasi. Harmonia Mundi CD HMM 902422