Am Ende eines Tasten-Marathons
CD-KRITIK / FITZWILLIAM VIRGINAL BOOK
11/02/22 Der Niederländer Pieter-Jan Belder ist oft auf Langstrecke unterwegs. Das Wort Marathonläufer greift eigentlich zu kurz für diesen Musiker, der alle 555 Sonaten von Domenico Scarlatti eingespielt, mit dem von ihm mitbegründeten Ensemble Musica Amphion das Gesamtwerk von Arcangelo Corelli, die Tafelmusik von Georg Philipp Telemann und das gesamte Kammermusikwerk Purcells und Händels erarbeitet hat.
Von Reinhard Kriechbaum
Und nun ist er wieder am Ende solch eines Marathons angekommen: Mit der siebenten Ausgabe (3 CDs) ist das Fitzwilliam Virginal Book abgearbeitet. Insgesamt fünfzehn CDs. Um sich durch eine solche Anthologie zu kämpfen, muss auch der Hörer langen Atem mitbringen – aber gerade im Fall dieser Sammlung mit Cembalomusik des Elizabethanischen und Jakobinischen Zeitalters hat man natürlich auch so gut wie alle Kostbarkeiten aus der Feder englischer Komponisten fraglicher Zeit beisammen: also keine Gefahr der Langeweile, zumal Pieter-Jan Belder nach dieser Mammut-Beschäftigung mit den Stileigentümlichkeiten so vertraut ist wie wenige Cembalisten-Kollegen. Die Tempowahl, vor allem die metrischen Proportionen zwischen den Variationen – das ist nur ein Aspekt, wo niemand Pieter-Jan Belder etwas vormachen kann (und es nur wenige es ihm nachmachen können).
Wenn Pieter-Jan Belder gleich eröffnend, nach einer knappen Almand einen ausufernden Grounde von Giles Farnaby (1563-1640) und damit ein Stück mit herausfordernder Fingerfertigkeit vorstellt, ist das ein deutlicher Hinweis auf notwendige Virtuosität. Auch die ist ein Thema, und sie wird immer wieder effektvoll zur Schau gestellt. Charles Burney, der übrigens mit seiner Bezeichnung Queen Elizabeth's Virginal Book erheblich zur musikologischen Verwirrung ums Fitzwilliam Virginal Book beigetrug, hatte natürlich nicht Recht, als er schrieb, man finde kaum einen Meister in ganz Europa, der solche Stücke nach weniger als einem Monat Üben bewältigte. Tatsächlich aber ist der handwerkliche Anspruch nicht zu unterschätzen.
Am Ende dieses Fitzwilliam-Marathons sollte man auch daran erinnern, warum es gerade in dieser Epoche zur Musikblüte in England kam. Das hatte mit der Gründung der Anglikanischen Kirche durch Heinrich VIII. zu tun. Es wurden nicht nur 10.000 Mönche, Nonnen und Priester in die Wüste geschickt. Auch zum Konvertieren nicht bereite katholischer (und später protestantische) Kirchenmusiker hatten fortan schlechte Karten. So drängte eine Heerschar bestens ausgebildeter Musiker in die Haushalte der Nobilität und des gehobenen Bürgertums. Ihr ursprüngliches Betätigungsfeld, die Kirchen, war ja perdu. Das war der Ursprung nicht nur fürs Aufblühen der Virginalmusik in England. Auch die Consortmusik für Gambe entwickelte sich damals zu einer landestypischen Eigenart.
Die letzte CD-Folge wird mit Musik von Giles Farnaby eröffnet. Mit vier Stücken von dessen Sohn Richard Farnaby ist gleich alles beisammen, was von ihm überliefert ist. Gut die Hälfte der Stücke stammt von William Byrd, und dazu kommt noch eine Handvoll von anonym überlieferten Werken.