Auf's Aug gesch...en
HINTERGRUND / HAYDN / IL RITORNO DI TOBIA
03/12/20 Jetzt Tobit und Tobia nicht verwechseln. Der erblindete Tobit wartet auf die Rückkehr des Sohnes: Tobia wurde (mit einem Undercover-Erzengel als Gefährten) als Geldeintreiber nach Persien geschickt. Er kehrt gesund, munter und frisch verheiratet zurück – mitsamt Geld und einem Heilmittel gegen Blindheit.
Von Horst Reischenböck
„Warum spielt man eigentlich immer nur Schöpfung und Jahreszeiten? Vielleicht weil Tobia bei scheinbar wenig Action doch geschlagene drei dreiviertel Stunden für die Heilung gebraucht hat?“ So hieß es in der DrehPunktKultur-Kritik nach dem Konzert des Mozarteumorchesters unter Ivor Bolton im April 2016. Selten so abgehoben vor lauter Begeisterung: „Wie facettenreich und transparent – bei durchgehend enorm viel Power – Ivor Bolton Atmosphäre und Stimmungen, Farbe, Bewegung und Leben entwickelt hat! Es war einfach eine halbe Nacht lang überwältigend.“ Nun kann man diese Sternstunde des Mozarteumorchesters unter Ivor Bolton auf CD nachhören – und sogleich einer weiteren maßgeblichen Live-Aufnahme gegenüberstellen.
Nikolaus Harnoncourt präsentierte das Werk 2013 mit dem Orchestra La Scintilla und dem Arnold Schoenberg Chor bei den Festspiele in der Felsenreitschule. Ivor Bolton leitete das Mozarteumorchester im, akustisch natürlich bevorzugten, Großen Saal des Mozarteums. Mitwirkten der damals noch von Alois Glassner exzellent präparierte Bachchor Salzburg und ein ebenso exzellentes Gesangssolisten-Quintett. In beiden Fällen gestaltete übrigens Mauro Peter die Titelpartie.
Harnoncourt leitete mit den Schweizern ein Originalklang-Ensemble, während das Mozarteumorchester unter Bolton auf herkömmlichen Instrumenten spielt. Erstaunlich, dass Harnoncourt nicht durchwegs so sakrosankt der barocker Tradition geschuldeten Ausführung der da-capo-Arien verfuhr. Sprich da und dort ein „da capo“ einsparte. Kein Wunder, dass Bolton ihm gegenüber erst um fast eine halbe Stunde später in die Zielgerade biegt und die Einspielung eine CD mehr hat. Bei Harnoncourt dauert etwa Raffaeles Aria Anna, m‘ascolta eineinhalb Minuten kürzer als unter Bolton.
Wobei unter Bolton auch Lucy Crowes virtuos gesungene Koloraturen die der Kollegin Sen Guo eindeutig übertrumpfen. Noch gravierender die Differenz betreffs der Aria des Tobia Quando mi dona un cenno, der Bolton gut vier Minuten mehr Dauer zubilligte. Eine Gelegenheit für Mauro Peter, dem Heidemarie Klabacher bereits 2013 „strahlenden, auch in der Höhe weichen Tenor“ attestierte, um darin vokalen Schmelz noch geschmeidiger zu entfalten.
Im direkten Vergleich nachgehört war Tobias Braut Sara alias Anna Bonitatibus mit wesentlich leichter angepeilten Höhen auch die mit Abstand bessere Wahl gegenüber der Sopranistin Valentina Farcas. Bettina Ranchs Alt, mit leichtem Vorzug in der Tiefe, und Ann Hallenberg halten einander als Tobias Mutter Anna annähernd die Waage. Wie auch diebeide Bässe Neal Davies und Ruben Drole in der Partie des zuletzt geheilten Vaters Tobit. – Wählen Sie selbst – die Bekanntschaft mit Haydn lohnt sich auf jeden Fall!