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Für Hackbrett und Engelsstaub

CD-KRITIK / FRANIU / BOESCH

27/11/20 Da war Konzert und der Sänger ist nicht gekommen. Hat das Tal nicht gefunden. Innvervillgraten... Die Legende, die Franui seit jeher um sich weben, ist fast so originell, wie die Musik, die sie machen. Inzwischen haben sie auch DEN Sänger gefunden. Florian Boesch. Mit den musizierenden Osttiroler Querdenkern im Rücken lehrt der Star-Bariton Schubert, Schumann, Brahms oder Mahler das Fürchten.

Von Heidemarie Klabacher

Franui haben wieder zugeschlagen. Haben im Traumreich des „Deutschen Liedes“ gegrast – „Bald gras' ich bei Schubert, bald gras' ich bei Brahms“ – und sich diesmal für die Vocals einen Profi gekrallt. Florian Boesch. Einen, dem es wurscht ist, ob er eine Melodie eine Oktave höher oder tiefer singt, weil das Timbre seiner Stimme in allen Lagen die Nackenhärchen der Begeisterten stramm stehen lässt. Einen, für den der Text genauso wichtig ist, wie die Musik und der beide daher zur vollendeten Deckung bringt. Daran ändern auch Tuba oder Hackbrett nichts.

Die Lieder von Gustav Mahler, die ihren fiebrigen Exzess ohnehin meist in sich tragen – Zink! Zink! Wie mir doch die Welt gefällt – verkraften die Franui'sche Brachial-Ausdeutung auf der aktuellen CD Alles wieder gut tendenziell besser als etwa die Schumann-Lieder, die, ebenfalls tendenziell, hektisch werden, ohne einen besonderen Farb-Mehrwert dazuzubekommen. Fast ein wenig banal wird der kleine Zyklus vom Armen Peter – und selbst diesem wird herrlich gruselig ins Grab gesungen.

Die zwei blauen Augen von meinen Schatz von Gustav Mahler empfehlen sich geradezu für das Abdriften ins Jenseits mittels Hackbrett- und Zitherklang und verkraften sogar ein paar – zumindest außerhalb Inntervillgratens ganz und gar unverständliche – Jazz-Einsprengsel. Das Tempo ist extrem langsam. Der Sänger aber kann das, die Intensität wird enorm.

Der Vergleich mit der Franui-Lesart dieses Liedes auf der Mahler-CD ... und ruh in einen stillen Gebiet... aus 2011 drängt sich auf: Damals hat man sich auf vokale Risiken gar nicht eingelassen (der Sänger hatte sich ja auch verlaufen), der Satz ist eher bläserlastig, und schon damals sorgten Hackbrett und Zither-Schnörksel fürs Überirdische. Und schon damals gab es jene seltsam unmotivierten Jazz-Momente.

Wenn mein Schatz Hochzeit macht ist ebenfalls auf beiden CDs vertreten. Auch bei dieser Nummer hat man 2011 (wie bei den meisten Nummern) auf eine Vokalstimme verzichtet, dafür ein schrilles Abbild einer Dorfhochzeit a la Hexentanz hingefegt. (Ein wenig plump wirkt neun Jahre später etwa Urlicht, und Revelge hätte schon damals einen Florian Boesch gut brauchen können.)

Alle großen Klavier-Begleiter dieser Welt mögen verzeihen... so wie Franui Du bist die Ruh, der Frieden mild begleiten... das kriegen Bösendorfer und Steinway unter den kundigsten Fingern nicht hin. Grad dieses Lied ist aber auch gemacht wie kaum ein zweites für Bariton, Hackbrett und Engelsstaub. Die Effekte, die Florian Boesch mit seinen duftig-genialischen Registerwecheln erzielt, sind betörend. Auch Schuberts Der Tod und das Mädchen bekommt eine eigene Aura, die dem Original nichts überstülpt, das es nicht in sich trägt – nämlich existentielle Angst.

Irgendjemand schreibt übrigens im Booklet zur aktuellen CD (auf Englisch) und auf der Website von Franiu totalen Schrott: „Das klassische Kunstlied hat einen schweren Stand. Es führt ein museales Dasein, taucht zwar regelmäßig in den Konzertsälen auf, leidet aber darunter, dass die Frischluftzufuhr gering ist...“ Wer so was schreibt, hat nie einen Keenlyside, einen Gerhaher oder Bostridge (um bewusst einige der inzwischen „älteren“ unter den großen Lied-Interpreten der Gegenwart zu nennen) gehört. Sie alle – inklusive übrigens auch Florian Boesch – BRAUCHEN weder Hackbrett noch Posaune (nur etwa einen Gerold Huber am Klavier), um mit einem Lied oder gar einem Zyklus alle Emotionen zu wecken, derer die menschliche Seele fähig ist. Franui wissen das natürlich und sollten so was Unbedarftes auf ihren Seiten nicht dulden. Sie sollten die Lied-Freaks nicht ärgern, die sich allem Purismus zum Trotz, diebisch über Hackbrett, Posaune und Zither freuen. Die sich begeistern daran, auf wie viele unverschämt unverblümte Arten und Weisen die grandiosen Lieder ihre Macht und Pracht entfalten.

Franui & Florian Boesch: Alles wieder gut. WWE 1CD 20450 Col Legno - um 9,99 Euro als Stream und um 16 Euro auf CD - www.col-legno.com
Bilder: Cover; Stills aus dem Video Alles wieder gut - www.col-legno.com

 

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