Ein tönender Gesundbrunnen
CD-KRITIK / LA NINFEA
30/04/20 Allemal besser Wein trinken als Wasser predigen. „Wer sich stetig feucht hält, zerfällt nicht zu Staub“ ist eine zu beherzigende Textzeile aus einem dreistimmigen Kanon von Henry Purcell. Sie möge uns aus der Corona-Isolation in eine an Sozialkontakten und Konzerten reichere Zeit begleiten.
Von Reinhard Kriechbaum
„Music ist the cure!“ verspricht das Ensemble La Ninfea. Das klingt trostreich. Der Weg dahin ist vielleicht nicht immer ganz einfach. Das hat der französische Gamben-Meister Marin Marais vermutlich am eigenen Leib erfahren müssen. Sein musikalisches Tableau de l'operation de la taille jedenfalls ist wüste Programmmusik. Sie schildert eine Blasenstein-Operation. Der erste Blick auf den Operationstisch zieht entschieden „ernsthafte Bedenken“ nach sich, angesichts der Aussicht, „mit seidenen Stricken“ an diesen gebunden zu werden. Narkose war ja noch nicht erfunden, man musste im frühen 18. Jahrhundert schon auf natürlichem Weg in Ohnmacht fallen.
Immerhin, Marin Marais hat die schmerzreiche Prozedur überstanden und kompositorisch aufgearbeitet. In dieser Interpretation mit Marthe Perl (Gambe), Simon Linné (Theorbe) und Andreas Küppers (Cembalo) rezitiert Mirko Ludwig die Notizen aus Marais' Partitur: „Der Schnitt … Einführen der Pinzette … Der Stein wird gezogen … Blut fließt ...“ Erstaunlich eigentlich, dass dieses bizarre Stück Tonmalerei eher ein Geheimtipp der Gambisten geblieben ist.
Zum Ensemble La Ninfea gehören noch die Blockflötistin Barbara Heindlmeier und Christian Heim, Gambist und Blockflötist. Beide haben am Salzburger Mozarteum studiert. In ganz unterschiedlichen Besetzungen machen sich die Fünf, gemeinsam mit dem Tenor Mirko Ludwig, auf die Spur nach tönenden Krank- und Gesundmachern. Sie stießen bei ihrer letztlich höchst erquicklichen Repertoire-Erkundung auf Heilmittel wie Rosasolis (von Giles Farnaby), einen Likeur aus Sonnentau, oder auf Oil of Barley (Gerstenöl) – die Melodie dieses Namens findet sich in John Playfords Dancing Master.
In einer Arie aus Jean-Baptiste Lullys Oper L'Amour médicin lernen wir einen exzellenten Scharlatan der gesamten Heilkunde kennen. In einer anderen Oper Lullys, Persée, erfahren wir aber auch bis heute Gültiges über die Gesundheit des Schlafs. Alles in allem geht sie Sache für die Patienten gut aus, was sich anfangs so nicht abzeichnet. Heißt doch eines der ersten Stücke Last will and testament (eine Komposition von Anthony Holborne).
Wie man auf die Idee zu diesem musikalischen Siechtums- und Gesundungsprogramm gekommen ist? Ein Apotheker in Köln-Porz/Urbach hatte das Ensemble für ein Privatkonzert zu seinem 80. Geburtstag eingeladen. Das war die Initialzünding. Die Mitglieder von La Ninfea sind Leute, die sich mit Forschersinn nicht nur ans Suchen von Noten, sondern auch an deren Umsetzung machen. Sie nutzen wirklich alle Freiräume zur Kreativität, wie sie barocke Aufführungspraxis anbietet. Wie sie ihr Arsenal von gleich zwanzig Instrumenten einsetzen, sichert den Heilungserfolg.
Besonders nett sind einige Divisions, für die sie alte Melodien hernehmen und eben in der Art damaliger Variationenpraxis nachempfinden. The sick tune ist ein Motiv aus einer anonymen Zwischenaktmusik zu Shakespeares Viel Lärm um nichts: In den daraus entwickelten Variationen kann man nachfühlen, dass es kein Entrinnen vor viraler Ansteckung gibt. Aber die Expertise ist hoch, und ganz ehrlich: Wer wollte vor solcher musikantischer Kraft, sei sie auch noch so infektiös, davonlaufen?