Darmsaiten und Lederhämmerchen
CD-KRITIK / SCHUBERT / VIOLINWERKE
10/03/21 Schuberts Gesamtwerk für Violine wird’s. Auf drei CDs sollte es gut Platz finden. Die Stücke für Solovioline und Orchester hat man bereits mit der ersten CD abgearbeitet – und da blieb noch genug Raum für eine Sonatine und für Schuberts geigerisches Hauptwerk, die Fantasie in C-Dur D 934.
Von Reinhard Kriechbaum
Es gibt ja nur drei konzertante Werke aus Schuberts Feder, wobei das Rondo in A-Dur D 438 tatsächlich in den Konzertsälen heimisch ist. Weit seltener begegnet man dem ebenfalls zweisätzigen, als Konzertstück bezeichneten Werk in D-Dur D 345. Und dann ist da noch – die vordergründig denkbar unkompliziert anmutende, doch wohl feinste Komposition der Trias – die Polonaise in B-Dur D 580. Gerade im tendenziell verhalten genommen Tempo der Polonaise antworten die Streicher der Kölner Akademie äußerst delikat auf die Angebote der Geigerin Ariane Daskalatis. Immer wieder wird die Aufmerksamkeit auf scheinbar nebensächliche melodische Ranken gelenkt. Ob des dunkleren Klangs der Darmsaiten verkraften diese eine deutlich konturenstärkere Artikulation (moderne Besaitung führte da eher zu vorlauten Effekten), und doch nehmen diese kleinen Figuren nicht mehr Gewicht ein, als ihnen zukommen darf. Das ist reizvoll. Im Konzertstück wiederum knallen die Trompeten gegenüber dem Darmsaiten-Tutti markant heraus – so öffnet sich ein ergiebiges Spannungsfeld zur gleichwohl hier deutlich mutiger sich emanzipierenden Geigerin.
All diese Stücke für Solovioline und Orchester sind 1816/17 entstanden. Adressat war Schuberts älterer Bruder Ferdinand, der im familiären Streichquartett die Position des Primarius inne hatte. Franz Schubert spielte im Quartett die Bratsche. Er war aber auch ein vorzüglicher Geiger, hatte er doch im Konvikt der Hofmusikkapelle in Wien (unter den strengen Augen von Antonio Salieri) das Studentenorchester als Konzertmeister angeführt.
Die Sonate g-Moll D 408 wird in modernen Noteneditionen als letzte von drei Sonatinen des Neunzehnjährigen geführt; Schubert wählte dezidiert nicht die Verkleinerungsform, und tatsächlich sprichen aus einem Satz wie dem eröffnenden Allegro giusto schon jene „himmlischen Längen“, die so manches Schubert-Opus weiterhin prägen sollten. Ariadne Deskalakis und ihr Klavierpartner Paolo Giacometti wissen immer ums Tempo giusto, und das ist nie übertrieben schnell – zugunsten besonders auffälliger Klang-Allianzen. In tiefer Lage ordnet sich die Violine in Lautstärke und Klangfarbe dem Hammerklavier (aus dem Jahr 1815) unter, wogegen sie sich im Diskant selbstbewusster absetzt von den nicht mit Filz, sondern mit Leder bespannten Hämmern.
Geradezu unbezahlbar ist das Hammerklavier für die Einleitung der Fantasie C-Dur D 934, die in ihrem aufgeregten pianistischen Geflirre Assoziationen zu einem ungarischen Cymbal weckt. Auf einem Flügel unserer Zeit ist der zwangsläufig fülligere Klang zu der sich verhalten einbringenden Geige eine Balance-Herausforderung, die sich auf alten Instrumenten so nicht stellt.