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(K)ein garstig Lied – ein politisch Lied

CD-KRITK / FREE AMERICA!

25/02/20 Chester ist einer der Gassenhauer, der zur inoffiziellen Hymne im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) wurde. Da wird, auf einem Text mit weltlicher Kriegstreiberei unter geistlichem Anstrich, recht fetzig „New England's God“ besungen – ein Gott, der für ewig regiert.

Von Reinhard Kriechbaum

„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“ Der erste Satz der Präambel, mit der die Vereinigten Staaten 1774 ihre Unabhängigkeit erklärten, in einer zeitgenössischen Übersetzung.

„Free America!“ also – und eine CD gleichen Titels, die Musik hören lässt aus der Zeit des Unabhängigkeitskriegs. Und auch Lieder bis in die Mitte des 19. Jahrhundert hinein. Schließlich brauchten die neuartigen Ideen von Einigkeit, Freiheit und Demokratie immer wieder mal einen PR-Input. Da war die Musik ein probates Mittel.

The Cuba March, verbunden mit dem Freiheits-Song Friendly Union – diese beiden Nummern eröffnen das Panoptikum an Propagandamusik fürs neuartig organisierte Staatswesen aus vorerst 13 Bundesstaaten. Die Messlatten des Musikkritikers kann man da getrost weglegen. Es ging und geht hier ums unmittelbar Eingängige, um knallende Werbung für die neue politische Sache, um Melodien, die jedermann ins Ohr bekam und mitsingen oder nachpfeifen konnte. Da standen also auf der einen Seite die Kolonialisten und auf der anderen die Soldaten aus dem Mutterland. Beide hatten schottische Dudelsackquinten und irische Folklore im Ohr. Die musikalischen Fronten waren vermutlich deutlich weniger verhärtet als die ideologischen und (wirtschafts)politischen.

Die Melodie zu Liberty Tree hat Thomas Paine 1775 aus dem Mutterland in der Alten Welt geklaut und neu textiert: Der Freiheitsbaum als ein ökologisch wertvolles Gewächs wurzelt musikalisch in England, und das ist kein Einzelfall. Saw ye my Savior gilt als Negro-Spiritual, hier beginnt der text mit Saw you my Hero. Und die Urheber waren keineswegs dunkelhäutige Sklaven, die Melodie ist aus Schottland über den Atlantik getönt.

Wie klingt das nun? Sehr oft sind es banal geklitterte Strophenlieder, von einer Stimme unbegleitet gesungen oder in engem dreistimmigem Satz, begleitet von Fifes, die nicht nur in der Militärmusik wie siamesische Zwillinge zur Trommel gehörten. Das Geknatter der Trommeln zieht sich durch die 29 Nummern. Geige, Violoncello, Flöte dazu: Bei den Sätzen denkt man oft an spontane Musizierrunden.

Das muss trotzdem nicht der Delikatesse entbehren. Da gab es zum Beispiel in Newburyport, einem Nest in Massachusets, einen Musiker namens Moses Kimball, und der hatte Ende des 18. Jahrhunderts ein kleines Amateurorchester um sich geschart. Sein Notenmanuskript diente der Boston Camerata und ihrer Leiterin Anne Azéma nicht nur als besetzungstechnische Informationsquelle. Eine Reihe von Instrumentalsätzen fanden sich dort.

Hoch interessant ist eine Auswahl aus dem Liedgut der Shaker, dieser eigentümlichen weltlichen Sekte mit klosterähnlichen Strukturen, die mit ihren liturgischen Schütteltänzen Befremden auslösten. Genau daher kommt der Name Shaker für diese einst mächtige geistliche Gruppe, die ihren Irrglauben ultra-streng praktizierte. Da findet sich allerlei Moralisierendes, auch ein Lied, in dem die Sklaverei angeprangert wurde (eines der wenigen Themen, das die Einigkeit der nun Vereinigten Staaten ernsthaft gefährdete). Die Shaker hatten auch geistliche Lieder in Form textloser Vokalisen, und eine solche – mit dem Titel Sanctum Te – lässt nicht nur wegen ihrer melodisch afroamerikanisch anmutenden Eigenart aufhorchen, sondern auch wegen der Bravour der Sänger der Boston Camerata.

Neben knalliger Musik zum Kennenlernen hält diese CD also auch nicht wenig Information über Kultur- und Geistesgeschichte des jungen Staatswesens bereit. Und im witzigen Schlussstück Yankee Doodle, or The Lexington March erfährt man, dass es schon in frühesten Jahren der USA trotz protestantischer Prüdheit auch recht deftig zugehen konnte.

Free America! Early Songs of Resistance and Rebellion. The Boston Camerata, Ltg. Anne Azéma. Harmonia mundi, HMM 902628

 

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