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Der Prophet klagt

CD-KRITIK / COUPERIN / LEÇONS DE TÉNÈBRE

19/04/19 Es schadet nicht, sich die liturgische Dramaturgie der Trauermetten auszumalen, wie sie im Frankreich der Zeit Couperins an den vorösterlichen Tagen ausgerichtet wurden. Ein Kerzenständer in dreieckiger Form mit fünfzehn Lichtern stand da, und im Laufe der gottedienstlichen Handlungen wurde eins ums andere gelöscht.

Reinhard Kriechbaum

Das illustrierte die durch das Passionsgeschehen quasi sich selbst in Dunkelheit versenkende Welt. Dafür wählte man nicht die Nachtstunden, sondern die Zeit vom späteren Nachmittag in den Abend hinein. Die Kirchen verdunkelten sich effektvoll...

In einem solchen Theater des schwindenden Lichts war entsprechend griffige Musik gefragt, und dies wieder bedeutete eine Gratwanderung für den Komponisten. Einerseits war Zurückhaltung geboten (Instrumente in der Karwoche forderten oft Widerspruch, gar Verboten heraus), andrerseits brauchte es dem Anlass und vor allem den Texten angemessene Affekte. Schließlich sind die Klagelieder des Jeremias – sie vertonte François Couperin in den „Leçons de ténèbres“ – flammende Reden der Selbstbezichtigung, ein Sich-Hineinsteigern in die eigene Schuld.

Francois Couperin kannte natürlich die italienische Monodie und er mag auch in Richtung Deutschland geschielt und mit Aufmerksamkeit wahrgenommen haben, wie Heinrich Schütz in seinen geistlichen Konzerten mit dem Text umgegangen war. So, wie hier das Ensemble „Les Ombres“ mit geradezu fulminant stilkundigen Gesangssolistinnen diese kleinräumig zwischen Rezitativ und Arioso pendelnden Vertonungen fasst, wirken sie jedenfalls wie idealtypische Lehrstücke für ein ausgewogenes Wort-Ton-Verhältnis.

Aleph, Beth, Ghimel – die jüdischen Buchstaben gliedern den Text, ihre Umsetzung in Melismen bildet Ankerpunkte zwischen den bildkräftigen Schilderungen von Leid und Hoffnungslosigkeit. Am Ende jeder der drei Leçons steht die Anrufung „Jerusalem, converte Dominum Deum tuum“. Die ersten beiden Leçons werden von Chantal Santon Jeffery und Anne Magouët jeweils allein gesungen, in die dritte hat Couperin für zwei Soprane und Basso continuo gesetzt – ein ziemlich genialer dramaturgischer Schachzug. Die Gambistin Margaux Blanchard findet in der Artikulation genau jenen sprechenden Duktus, der den Vokalistinnen optimal stützend zuarbeitet. Da ist ja auf engstem Raum das aufblühende Melisma genau so gefragt wie die präzise, textgenaue Deklamation.

Eigentlich gäbe es an Drei Kar-Tagen jeweils drei solcher Tenebrae-Liturgien. Couperins Leçons für die Dämmerstunden des Gründonnerstags und des Karfreitags, also sechs weitere Leçons, sind leider verloren gegangen. Um die CD zu füllen, fand man andere inhaltlich gut passende Musik, sogar für eine Ersteinspielung: Den Psalm 69 (in der Vulgata Nr. 68) „Salvum me fac Deus“ hat Couperin Vers für Vers in mehr oder weniger eigenständige Motetten zerteilt. Der Bariton Benoit Arnould setzt diese Kompositionen mit ihren vokal/instrumentalen Dialogen (Violinen, Traversflöten) nicht minder präzis in der Textausdeutung um wie seine beiden Kolleginnen. Diese tragen ihrerseits eine Psalmvertonung Couperins bei. „Mirabilia testiminia tua“ besteht aus einigen Abschnitten aus Psalm 117/118 und ist auffällig deshalb, weil der eröffnende Vers „Tabescere me fecit“ den beiden Sopranen ohne jede Begleitung anvertraut sind. Erst dann setzen die Instrumente ein und es entstehen leuchtkräftige geistliche Konzerte. – Durchwegs betörende Interpretationen, weil im Ausdruck perfekt zwischen der großen textlich/musikalischen Geste und der kleinen Form vermittelnd.

François Couperin: Leçons de ténèbres & Motets. Chantal Santon Jeffery, Anne Magouët, Benoit Arnould, Les Ombres (Ltg. Margaux Blanchard, Sylvain Sartre). Mirare, MIR 358

 

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