Kein holder Knabe im lockigen Haar
CD-KRITIK / STILLE NACHT, ALT UND MODERN
21/12/17 Da drehen sich zwei doch sehr verschiedene Silberscheiben! Einmal lädt der Salzburger Cellist Michael Beckmann, einer der ruhigsten und sensibelsten seiner Zunft, zu einer „Stille Nacht“-Reise an fünfzehn Aufnahmeorte, die mit Franz Xaver Gruber, Joseph Mohr und dem Lied in irgendeinem Zusammenhang stehen. Turbulenter „crossover christmas“ hingegen hat sich das Ensemble „Piccanto“ verschrieben.
Von Reinhard Kriechbaum
Vergleichen kann man das nicht, natürlich nicht. Die Wertkonservativen werden zur CD „200 Jahre Weltfriedenslied“ greifen. Kann sich Aura über eingefangene Raumakustik vermitteln? Da nahm für die Aufnahme beispielsweise die Jugendkantorei am Salzburger Dom vor dem Taufbecken Aufstellung, und Alexander Fussek hat den Originaltext in Mariapfarr eingesprochen, genau vor jenem Altarbild, auf dem ein „holder Knab im lockigen Haar“ zu sehen ist. Dieses Bild hat Mohr möglicherweise zur entsprechenden Formulierung angeregt. Beckmann und seine Kollegin Julia Ammerer spielen gemeinsam mit der Harfenistin Sabine Kraus eine Instrumentalversion von Johann Michael Haydns „Heiligste Nacht“ vor der Kirchenkrippe St. Nikola, die sich jetzt im Innviertler Volkskundehaus in Ried im Innkreis befindet. Da braucht's schon ein ultra-feines Sensorium, um den Spirit der Aufnahme wahrzunehmen...
Aufschlussreich ist die CD, ein Vorbote zum 200-Jahre-Jubiläumsjahr des Lieds, weil außer mehreren Fassungen des „Stille Nacht“ viel andere Weihnachtsmusik erhalten ist. Franz Xaver Gruber war um eingängige Melodien nie verlegen. „Welch ein Jubelton“, ein Strophenlied für zwei Frauenstimmen und Orgel, ist wirklich geeignet, weihnachtliche Begeisterung zu wecken. Johann Michael Haydn war eines der stilbildenden Vorbilder für Gruber, den Kirchenmusik-Praktiker. Mozarts hochberühmtes „Exsultat, Jubilate“ begegnet uns auf der CD sogar als österreichische Ersteinspielung: Die Salzburger Dommusik unter Janos Czifra lässt eine Salzburger Fassung hören, die sich 1978 in Wasserburg am Inn gefunden hat.
Szenenwechsel zum Pop: In den rotzfrechen Arrangements der sechsköpfigen Vokalgruppe „Piccanto“ geht’s rund. Da mischen sich gleich ins eröffnende „Jetzt fangen wir zu singen an“, mit schmissigem, an blues notes reichem „Halleluja“, ein paar Töne „Jingle Bells“. Das aus dem Musischen Gymnasium herausgewachsene Ensemble ist ja längst gut unterwegs auf den Pop- und Event-Bühnen, und bei bei den ORF-Sendungen wie „Zauberhafte Weihnacht“ und „Licht ins Dunkel“ haben die munteren Knaben – keiner von ihnen übrigens „im lockigen Haar“ – Sympathiepunkte heischen können. Die ORF-Castingshow „Die große Chance der Chöre“ haben sie 2015 durch Jury- und Publikumsvoting für sich entschieden, und nur ganz konservative Geister haben angemerkt, dass das mit konventionellem Chorgesang nichts zu tun hat.
Einer von „Piccanto“, Leopold Eibensteiner, ist ein immens fantasiebegabter Arrangeur, der sich und seinen Kollegen (alle sind um die 25 Jahre alt) die kühnsten Haken schlagen lässt, mit harmonisch raffinierten Wendungen herausfordert und eben so oft mutig in gefälligen Pop-Untiefen plätschert. So querständig – und doch oft so fein die Volksmusik-Originale und sogar Bach (Ich steh an deiner Krippen hier) weiterdenkend: Ehrlich, dafür lass ich doch glatt all den Stille-Nacht-Originalhall links liegen.