Tastengiganten aus Salzburg und Paris
CD-KRITIK / JOSEPH WOELFL / KLAVIERSONATEN
30/11/17 Dem Werkverzeichnis von Margit Haider-Dechant nach schuf der Salzburger Joseph Woelfl mehr als 65 Klaviersonaten. Weniger als die Hälfte war bislang auf Tonträgern greifbar, nichts davon ist mehr erhältlich. Nun startet ein Speziallabel für Raritäten abseits vom Mainstream die erste Gesamtaufnahme.
Von Horst Reischenböck
Der einstige Schüler von Vater Mozart und Michael Haydn fristet in seiner Heimat immer noch ein Schattendasein. Seinen Zeitgenossen galt der „4. Wiener Klassiker“ als Koryphäe. Auf den schmäleren Tasten der Instrumente seiner Zeit konnte er große Intervalle, bis zu einer Dezime, greifen. Joseph Woelfl (1773-1812) war als Virtuose anerkannt und er war der international bestverdienende Komponist. Wegen der von Napoleon verhängten Kontinentalsperre wurde die Kunde von seinem frühen Tod (in London) kaum publik. Eine ihm dienende Gesellschaft hat nun ihren Sitz auch nicht in Salzburg, sondern in Bonn. Dort wurde Beethoven geboren, und ihn hat Woelfl laut Augenzeugenberichten im pianistischen Wettstreit in Wien übertrumpft.
Mitbewerber blieben beide auch weiterhin. Beispielsweise 1803, als der Zürcher Verleger Nägeli zeitgenössische Komponisten für eine Sammlung „le répertoire des Clavecinestes“ um qualitativ hochstehende Werke bat. Beethoven sandte sein Opus 33, Woelfl die c-Moll-Sonate WoO 113, später vom Salzburger Anton Diabelli in Wien als „Sonate, précédee d'une Introduction et Fugue“ erneut veröffentlicht.
Adalberto Maria Riva spielte sie 2012 erstmals anlässlich Woelfls 200. Todestag. Anstoß für ihn, damit auch sein nun vorliegendes Volume 1 der Gesamtaufnahme aller Sonaten zu beginnen. In diesem (Ausnahme)Fall behauptet sich Riva durchaus achtbar mehrfacher Konkurrenz, fehlt es doch gerade dieser inhaltlich gewichtigen Sonate nicht an dramatischer Aussagekraft und Wirkung.
Dieses absolute Meisterwerk stellt in gewisser Weise eine Art „missing link“ zwischen Mozarts Fatalismus und Beethovens heroischer Wildheit dar, wobei Riva im Vergleich etwa zu Gregor Weichert (der die Sonate einst eingespielt hat) mehr nachdenklich denn dräuend an die fünf Teile herangeht und sich mehr Zeit lässt. Das verleiht etwa der strengen Fuge mehr Durchhörbarkeit.
Zusätzlichen Reiz bietet die vorliegende CD durch Erstaufnahmen der jeweils konventionell dreisätzigen Sonaten in F-Dur op. 27 Nr. 2 und in h-Moll op. 38.
1807 komponierte Woelfl in London eine Grande Sonate pour Pianoforte op. 41, der er den Beinamen „Non plus ultra“ hinzufügte. Der Komponistenkollege Jan Ladislav Dussek hat sie übrigens mit seinem technisch noch anspruchsvoller konzipiertem Opus 70 „plus ultra“ noch zu übertrumpfen versucht. Schon Woelfl geizte nicht mit Ansprüchen, mit Vorwegnahmen bis hin zu Franz Liszt, wie Margit Haider-Dechant im Einführungstext zu einer weiteren neuen Woelfl-CD darlegt.
Woelfls Sonate paart Margit Haider-Dechant unter dem Titel „Zwei Giganten des Klaviers'“ in weiterer Steigerung mit den Etüden Nr. 8 bis 10 aus op. 39 von dem Pariser Charles-Valentin Alkans, geb. Morhange (1813-1888), Als „Konzert ohne Orchester“ hat der Tastentiger diese 1857 veröffentlichten Stücke bezeichnet. Haider-Dechant verdankt die Musikwelt die erstmals ungekürzte Aufführung dieses singulär überbordend, fast einstündigen Klaviermonsters in Paris. Marc-André Hamelin hat den Etüden „teuflisch schwere Tonrepetitionen“ attestiert. In ihrer Interpretation treibt Haider-Dechant die geforderte Virtuosität dennoch nicht auf die Spitze. Ohne die technischen Anforderungen hintan zu stellen, gelingt es ihr souverän, das innewohnend gedankliche Konzept zu entschlüsseln.