Lass mich in Frieden, du Idiot
GEORG CLEMENTI / ZEITLIEDER
13/11/17 „Eine irakische Familie, ausgesetzt auf der Autobahn. Polizisten im ständigen Kampf gegen Schleuser. Kriegsopfer, die durch eine bayerische Idylle irren. In Passau stranden täglich Hunderte Flüchtlinge – Geschichten aus Deutschlands Lampedusa.“ So der Vorspann eines Artikels in der Wochenzeitung DIE ZEIT auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015.
Von Heidemarie Klabacher
Georg Clementi, Liedermacher, Chansonnier, Geschichtenerzähler, machte daraus das ZEIT-Lied „Auf der A3“. Autobahnbenützer, Raser, Bremser und Blinde: In bester Liedermacher-Manier erzählt Clementi vom übermüdeten Handwerker auf dem Heimweg nach Bulgarien, vom neureichen Angeber, der „freut sich dass er mal durchdrücken kann, wie fühlt er sich stark und lebendig der Mann“ oder vom sturen Oberstudienrat, der die linke Spur nicht freigeben und auf dem Pannenstreifen weder Flüchtling noch die Polizei sehen will.
Das wäre ein – durchaus bewegendes - politisch korrektes aktuelles Betroffenheitslied. Doch Georg Clementi fügt noch eine Strophe hinzu, und aus dem zeitgebunden ZEIT-Lied wird ein zeitloses Liebeslied. Denn auch der Ich-Erzähler, oder das poetische „Ich“, ist auf der A3 unterwegs:
Es gibt eine Straße zwischen Holland und Wien
Dort find ich mich wieder wenn ich einsam bin
Sie führt zu einem Mädl mit glattem Haar
Das mal meine einzige Liebe war.
Und jetzt? „Nun sitz ich daneben und trinke Kaffee…“ Prosaischer und zugleich poetischer muss man das Ende einer Liebe erst mal in Worte fassen. Und sich das Thema, noch dazu in Reimen, überhaupt angehen trauen. Es soll jetzt kein – einfach nicht verhältnismäßiger – Heine-Vergleich bemüht werden. Aber wer diese Strophe schreiben kann, ist auf jeden Fall auch ein Dichter.
Dabei ist „Auf der A3“ erst das erste Lied auf der dritten ZEIT-Lieder CD. Fast schon ein wenig visionär ist Lied Nummer 6 „Fairtrade Kaffee“. Weil... Hat man nicht selber ein verdammt schlechtes Gewissen, weil man in Zeiten schwarztürkik-blauer Regierungs-Sondierungs-Befreiungs-Gespräche nicht selber auf die Straße geht… Clementis Lieder und die CD, zumindest die Texte, müssen produktionstechnisch weit vor der letzten Wahl fertig gewesen sein. Aber „Fairtrade Kaffee“ liest – und hört – sich, wie ein Kommentar dazu. Wie der Kommentar eines unfreiwillig politischen Unpolitischen, wie eine Mahnung:
Ich will nur meinen Fairtrade Kaffee
Und dass Freiheit selbstverständlich ist
Und dass gut sein darf wer gut sein will
Und dass er mehr gilt als der Egoist
Die Leiden des „Bibliophilen“ versteht und teilt jeder Leser, jede Leserin, die Ironie, die Clementi auch in diesen Text packt, nimmt wiederum für ihn ein. Bücher loswerden? Aus Platz- oder sonstigen Gründen? Niemals eine leichte Sache: „Doch wenn ich wirklich ehrlich bin ’s ist auch Angeberei. Wer alle diese Bücher sieht glaubt dass ich weise sei…“
Georg Clementi singt mit klassisch liedermacherisch geführter rauchiger Stimme, begleitet wird er von Sigrid Gerlach-Waltenberger, Akkordeon, und Ossy Pardeller, Gitarre. Auf seiner Website www.zeitlieder.de zeigt Clementi, welcher ZEIT-Artikel welchem ZEIT-Liede zugrunde liegt.