Des Papsts und Türken Mord
CD-KRITIK / BACH / GAECHINGER CANTOREY
14/06/17 Wie ist das doch gleich mit Ökumene? „Erhalt uns Herr, bei deinem Wort, und steur' des Papsts und Türken Mord...“ Na ja, wir wollen im Luther-Gedenkjahr nicht ketzerisch herumgrübeln über das Gehört-Sich im Umgang unter Glaubensbrüdern. Schon gar nicht am Tag vor Fronleichnam, einem Fest, das seinerseits der Schaustellung katholischen Selbstbewusstseins dient.
Von Reinhard Kriechbaum
Keine Frage: Nimmt man Bach und seine bracchial-protestantische Gesinnungs-Kantate BWV 126, dann macht die Musik schon was her, nicht nur ob der Solotrompete im Eröffnungssatz. Der Thomaskantor hat dafür alle Register plakativen Gestaltens gezogen, und so ist das Werk ein gutes Futter für Hans-Christoph Rademann, der seit 2013 das traditionsbefrachtete Stuttgarter Erbe von Helmuth Rilling mit Feuereifer in die Jetztzeit historischer Aufführungspraxis überführt. Mit seiner Einspielung der h-Moll-Messe hat er die Fachwelt aufhorchen lassen, nicht nur wegen der Orientierung an Bachs „Dresdner Stimmen“.
Da ist „Erhalt uns Herr, bei deinem Wort“ jedenfalls der rechte Zündstoff. Gleich, wie Rademann die Vokalisten und Instrumentalisten einsteigen lässt in diese Manifestation einer protestantischen Ecclesia militans, merkt man auf: so viel Energie, aber keineswegs ein furioses Malmen, sondern immer auch eine gewisse Elegance in Phrasierung und Klangbild. Mit „Gaechinger Cantorey“ ist jetzt auch das auf Originalinstrumenten spielende neue Orchester der Bachakademie Stuttgart gemeint. Das ist bestückt durchwegs mit Leuten, die den aktuellen spiel- und interpretationstechnischen Stand garantieren. Man höre etwa auf das, was der Fagottist Györgyi Farkas in der Bass-Arie „Stürze zu Boden“ an Energie einbringt, oder wie im Schwesterwerk, der zum Reformationsfest 1725 geschriebenen Kantate „Gott der Herr ist Sonn und Schild BWV 79, die Hörner schmettern und die Streicher glasklar stanzend satztechnische Finessen heraus bringen.
Eine Frage, die man sich bei diesem so plastischen Musizieren stellt, weil ja auch die jeweiligen Cantus-firmus-Melodien so transparent herausgezeichnet werden: Waren die Kirchenbesucher in Bachs Zeit eigentlich musikalisch so firm, dass ihnen das alles aufgefallen ist und in seinem theologischen Hintersinn klar wurde? Das lutherische Liedgut werden die Leipziger wohl bis in die vielen Strophen hinein verinnerlicht und damit gegenüber heutigen Hörern einen gewissen Startvorteil gehabt haben.
Interessant, dass Hans-Christoph Rademann als drittes Werk die Missa brevis in G BWV 236 wählte. Bach hat für seine aus Kyrie und Gloria bestehenden protestantischen Messen ja nur wenig neue Musik geschrieben, sondern sich des Parodieverfahrens bedient. Gerade diese Messe fußt in wesentlichen Teilen auf der Kantate BWV 79. Gute Gelegenheit für den Dirigenten vorzuzeigen, wie Bach solch neue Textierungen dann doch auch in der Instrumentalbesetzung umgearbeitet und dadurch quasi wie neu wirkende Sätze geschaffen hat. Mit gehörigem Gefühl für diese Verschiedenheiten lässt der Dirigent die Vokal- und Instrumentalgruppe durch das auf einmal gar nicht mehr so vertraute Terrain steuern.
Die Solistengruppe stellen Dorothee Mields (Sopran), Benno Schachtner (Altus), Benedikt Kristjánsson (Tenor) und Tobias Berndt (Bass), eine handverlesene Gruppe mit viel idiomatischer Eigenart, Arie um Arie. Ein Gustostück ist in der eröffnenden Kantate BWV 126 das Rezitativ „Der Menschen Gunst und Macht wird wenig nützen“: Da teilen sich Altus und Tenor den Rezitativtext, und als Duo hat Bach Zeile um Zeile des Kirchenlieds „Gott Heilger Geist, du Tröster wert“ gefasst: ein gestalterischer Kniff, wie ihn selbst Bach nur in Sternstunden gelungen ist.