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Aus der italienischen Heimat der Niederländer

CD-KRITIK / MESSEN VON ISAAC UND DE RORE

29/05/17 Das Ensemble Gilles Binchois ist geeignet wie wenige andere, um ein Bild mittelalterlicher Liturgie an der Schnittstelle zwischen Mittelalter und Renaissance zu zeichnen. Sein Leiter Dominique Vellard ist nämlich nicht nur höchst stilkundig in der mehrstimmigen Musik, sondern er hat auch eine Antenne für den Gregorianischen Choral.

Von Reinhard Kriechbaum

Es war ja nicht so, dass die Vokalpolyphonie mit einem Schlag den einstimmigen Gesang der katholischen Kirche abgelöst hätte. Man muss sich auch bei repräsentativen Anlässen – und Heinrich Isaacs Missa Virgo prudentissima ist gewiss für einen solchen entstanden – eine gemischte Art des Musizierens vorstellen: Dass zu einem sechsstimmigen Messordinarium das gregorianische Proprium gesungen wurde, war durchaus der Regelfall. Und es war sicherlich nicht außergewöhnlich, wenn gut ausgebildete Sänger, versiert in der komplexen Mehrstimmigkeit, den Choral auch improvisierend anreicherten. Da bleibt bei der Wiederholung der Introitus-Antiphon mancher Ton kurz bordunartig liegen, und im Kommuniongesang wird nicht nur zwischen Gregorianik und der entsprechenden vierstimmigen Vertonung aus Isaacs „Choralis Constantinus“ gewechselt. Einer der Psalmverse erhält der Abwechslung wegen eine improvisierte Faux-Bourdon-Lösung.

Interessant auch, dass Dominique Vellard in diese imaginäre Messfeier zu einem hohen Marienfest zwei liturgische Rezitationen aufgenommen hat: die gesungene Evangelienlesung und die Präfation, die aufs Sanctus hinführt. So kommt besonders nachdrücklich heraus, wie Heinrich Isaac mit der Motettenvorlage zur Messe spielt: Nicht mit dem Wort „Sanctus“ beginnt der Satz, sondern eben mit „Virgo prudentissima“! Da haben die Zeitgenossen gewiss aufgehorcht.

In kleinster Besetzung, aber in volltönendem Klang und mit sagenhafter Plastizität der Stimmführung realisiert Vellard mit dem Ensemble Gilles Binchois dieses kontrapunktische Meisterwerk, in dem noch ganz die isorhythmische Motette nachklingt. Und diese neun Sänger als Choralschola: Solch runden Unisono-Klang hat man nicht alle Tage.

Zwei Generationen später war Cipriano de Rore (1515-1565) tätig. Auch für ihn gilt die für die francoflämische Epoche typische Internationalität. Heinrich Isaac (1450-1517) war und blieb in Florenz fest verwurzelt, auch wenn er zwischendurch (als es Savonarola an den Kragen ging und die Medici zwischenzeitlich aus der Stadt vertrieben wurden) für Maximilian I. in Innsbruck und Wien tätig war. Cipriano de Rore erwischte in Parma und Ferrara deutlich ruhigere Zeiten (wogegen es in der niederländischen Heimat gelegentlich rund ging). Unterwegs war er auch nicht wenig, das Attribut „Cipriano divino“ kündet von hohem Ansehen weitum. Der belgische Laudantes Consort, ein dreizehnköpfiges Vokalensemble unter Guy Janssens, hat die Messe „Doulce Mèmoire“ und einige repräsentative Motetten aufgenommen. Auch stilistisch sind wir da in einer ganz anderen Zeit: Bei de Rore geht es um das perfekte Verschmelzen der Stimmen, um deren Gleichwertigkeit und Ausbalanciertheit. Der Laudantes Consort lässt keine Wünsche offen, weil trotz der ruhigen Grundzeitmaße die Deklamation deutlich bleibt und man damit hohe Textverständlichkeit sichert.

Heinrich Isaac, Missa Virgo prudentissima. Ensemble Gilles Binchois, Ltg. Dominique Vellard. Evidence EVCD023 – evidenceclassics.com
Cipriano de Rore, Doulce Mémoire. Laudantes Consort, Ltg. Guy Janssens. Sonamusica SONA1504 – www.sonamusica.be

 

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