Ohnmacht, Widerspruch und Eishockey
RAURISER LITERATURTAGE / VESPER, MAHLKE, HASLINGER / SAMSTAG
04/04/16 Guntram Vesper kann am Samstag leider nicht kommen. „Frohburg“ begeistert trotzdem. Inger-Maria Mahlke führt mit „Wie ihr wollt“ ins elisabethanische England des 16. Jahrhunderts. Josef Haslinger liest aus seinem Roman „Jáchymov“ und begeistert damit ein Publikum für Eishockey, das auf herkömmliche Weise dafür eher nicht zu haben ist.
Von Jakob Rettenbacher
Die Zuhörerinnen und Zuhörer im Gasthof Grimming und - über Leinwandübertragung - auch im Platzwirt sind gesättigt von Literatur. Trotzdem schaffen es die Autorinnen und Autoren auch am dritten Abend die teils schon sichtbar müden Gäste zu begeistern.
Ganz ist Guntram Vespers Abwesenheit nicht kompensierbar. Aber Erich Hackl stellt sich am Samstag (2.4.) als Stellvertreter der Aufgabe und erfüllt sie zur allgemeinen Zufriedenheit. Im Roman oder Nicht-Roman oder Auch-Roman - man tut sich schwer das Werk „Frohburg“ einzuteilen - entführt Guntram Vesper die Leser in eine außergewöhnliche Kleinstadt zwischen Leipzig und Chemnitz. Diese sei, vermutet Erich Hackl, in Wirklichkeit ein unglaubliches Kaff und kaum einen Besuch wert.
Es sei ein Buch über Ohnmacht, sagt Hackl. Über Schweigen. Als Guntram Vesper vier Jahre alt ist, geschieht Schreckliches. Menschen werden vor den Augen von Kindern, von schwangeren Frauen, schlicht von anderen Menschen, erschossen. Sie verschwinden und kehren nie wieder zurück. Das Ganze im Jahr 1945. Es wird im Anschluss aber nicht darüber gesprochen. Es wird geschwiegen. 45 Jahre lang. Erst 1990 beginnt die eigentliche Aufarbeitung, die nie vollständig abgeschlossen sein wird. Auch für Guntram Vesper nicht. Er wird von Erich Hackl zitiert: „Ich schreibe immer über das Gleiche. Weil ich aber immer älter werde und mich, wie ich hoffe, weiterentwickle, ist es aber nicht immer das Gleiche.“
„Wie ihr wollt“ ist der jüngste Roman von Inger-Maria Mahlke. Im elisabethanischen England ist die Protagonistin Mary Grey die Personifikation von Widerspruch. Diesen Widerspruch unterstreicht Mahlke im Gespräch. Auf der einen Seite steht das königliche Blut. Als Verwandte von Heinrich VIII. stand sie in der Thronfolge an einer Stelle, die sie mit einer nicht unwahrscheinlichen Verkettung von Zufällen zur Königin machen hätte können. Besonders in Zeiten, in denen Enthauptungen von Angehörigen des Hochadels beinahe an der Tagesordnung standen.
Auf der anderen Seite passt die kleinwüchsige Mary Grey nicht ins Bild. Königliches Blut? Göttliches Blut? Durch ihre bloße Existenz sprengt sie das enge Korsett, in dem sich die königliche Familie befindet. Sie wird weggesperrt, um nicht zur Schande der königlichen Familie zu werden, um sie nicht noch zu vergrößern. Mary behauptet sich im Roman gegen ihre „liebe“ Cousine Elisabeth I. und die gesamte Familie… Mahlkes große Leistung besteht darin, ein anregendes Buch über ein langweiliges Thema zu schreiben.
„Eishockey“. Ein Thema, an das einem nicht sofort einfällt, wenn man an Literatur denkt. Josef Haslinger gelingt es jedoch auf beeindruckende Weise, Interesse zu wecken. Nicht nur bei den Lesern und Leserinnen, sondern auch bei ihm selbst. Er habe nichts mit Jáchymov, einer Kleinstadt mit großer Geschichte in der Tschechischen Republik, nichts mit Eishockey, überhaupt nichts mit den Themen im Buch zu tun gehabt, sagt Haslinger.
Er sei in die Geschichte hinein gestolpert: Nur über das Pendeln zwischen Wien und Leipzig findet Haslinger zum Thema. Es packt ihn nicht sofort. Aber je öfter er durch Jáchymov fährt, auch stehenbleibt und schaut, desto mehr kommt Interesse in ihm auf. Über 100.000 politische Gefangene und noch mehr Zwangsverpflichtete durchlaufen in den Jahren 1948-1964 die Stadt und das Lager, auch der Großteil der tschechoslowakischen Eishockey-Weltmeistermannschaft von 1949. Einer von ihnen steht in „Jáchymov“ im Zentrum: der Torhüter, Bohumil Modrý.