Rauris. Leipzig. Japan.
RAURISER LITERATURTAGE / REPORTAGE
22/03/15 „Durch den Dreck, den Weg entlang, schräg unten links.“ Diese Beschreibung führt uns schließlich DOCH zum Lacknerbauern. Nachdem sich der Ort, den wir zuerst für den Lacknerbauern gehalten haben, als verfallener Schuppen erwiesen hat, sind wir nun umso erleichterter, einen idyllischen Bauernhof vorzufinden. Hier soll nun eine „Störlesung“ stattfinden, die uns zu den Wurzeln der Rauriser Literaturtage zurückführt.
Von Anja Gatterbauer und Anna Wagner
Die hölzerne Stube, von Sonnenstrahlen durchflutet und warm vom eingeheizten Kachelofen, beherbergt an diesem Freitag (20.3) nicht nur literaturfreudige Leserinnen und Leser, sondern auch Jaroslav Rudiš und Ann Cotten, die in familiärem Kreis aus ihren Büchern vorlesen.
Trotz ihrer von Grund auf verschiedenen Schreibstile ergänzt sich das Programm der beiden zu einem gelungenen Ganzen. Im Herrgottswinkel sitzend, berichtet Rudiš von Ole, der Bar Helsinki, dem Lianenrauchen und dem „Pilze checken“. In seinem Buch „Vom Ende des Punks in Helsinki“ wird nicht nur davon gesprochen, dass alles mit allem zusammenhängt. Erzählt wird auch von Frauen, die wissen, was gut für ihre Männer ist, und von einem Freund, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, die Weltgeschichte zu retten.
Am anderen Ende des Spektrums berichtet die gebürtige Amerikanerin Ann Cotten in ihrem Erzählband „Der schaudernde Fächer“ Eindrücke aus der fiktiven japanischen Stadt Noto. Durch ihre bildhafte Sprache nimmt sie alle Anwesenden mit auf die Reise in eine fremde Kultur. Während Cotten davon erzählt, ihre Schreiblust kurzzeitig im Laufe ihres Germanistikstudiums in Anbetracht der Fülle an Literatur verloren zu haben, schöpft Rudiš seine Inspiration aus mündlich übertragenen Alltagsgeschichten.
Dem Weg der Literatur folgend, führt uns der Fahrplan weiter zum Gasthof Grimming, in dem neben Esther Kinsky auch noch Anne Weber und György Dálos lesen werden. Während sich die Autorinnen und Autoren auf ihren Auftritt vorbereiten, sorgt das Trio der Jazz Gypsies mit ihren spielerisch-frechen Rhythmen für heitere Stimmung.
Die in Frankreich lebende gebürtige Deutsche Anne Weber schreibt in ihrem Zeitreisetagebuch „Ahnen“ über ihre Vorfahren, von Geschichte und von der Art und Weise und Motivation, sich dieser zu nähern. Der Weg, der zwischen Vergangenheit und Zukunft liegt, „trennt und verbindet sie gleichzeitig“ mit ihrem Urgroßvater.
Esther Kinsky übernimmt in ihrem jüngsten Roman „Am Fluss“ die Stimme der Ich-Erzählerin, die als Übersetzerin nach Trennung und „verschlepptem Abschied“ aus London in eines der Randviertel zieht. Bei Menschen, die im Flüchtigen und Provisorischen leben, findet sie ihr neues Zuhause.
Großes Interesse für die politische Situation seines Heimatlandes Ungarn bekundet György Dálos, wenn er sagt, dass „Ungarn einen falschen Weg einschlägt, der seiner Mentalität nicht entspricht“. Stoff zum Nachdenken liefert er dem Publikum unter anderem, indem er aus dem „Fall des Ökonomen“ vorliest und von der „Unmöglichkeit“ spricht, die drei Güter Geld, Wohnung und Arbeit gleichzeitig zu besitzen.
Im gemeinsamen Gespräch über „Die Kunst des Übersetzens“ philosophiert Anne Weber darüber, dass man beim Übersetzen „eine andere Geisteswelt verkörpert“ und György Dálos betont die Wichtigkeit vom „Verschwinden des Übersetzers“ im Text. Ein Abend reich an Literatur endet, der die Gedanken nicht bei den Worten stoppen lässt, sondern sie in alle Himmelsrichtungen weiterspinnen lässt.
Die 45. Rauriser Literaturtage enden heute Sonntag (22.3.) – www.rauriser-literaturtage.at auf Facebook und Twitter
Für DrehPunktKultur berichteten aus Rauris Studentinnen und Studenten von Christa Gürtler, die im Rahmen der Lehrveranstaltung „Literaturbetrieb und literarisches Leben in Österreich (Rauriser Literaturtage 2015)“ am Fachbereich Germanistik an den Rauriser Literaturtagen teilnehmen.