Literaturliebhaber auf Kuschelkurs
RAURISER LITERATURTAGE 2
28/03/2014 Es spricht wohl für den Enthusiasmus der Gäste der diesjährigen Lesungen auf der Rauriser Heimalm, wenn sie in ihrer Begeisterung, keine Sekunde zu verpassen, selbst die Moderatorin des ORF mit einem erzürnten „Shhh“ zum Schweigen bringen wollen.
Von Alexandra Rothenbuchner und
Alexandra Christina Nobis
Vom ausschweifenden Gespräch mit Josef Winkler im Rahmen der öffentlichen Arbeitskreise „Rauris.Universität“ wandte sich die Aufmerksamkeit Renate Aichinger, der Preisträgerin des Rauriser Förderungspreises, zu. Im Gasthof Platzwirt lauschten die Zuhörer dem „eindringlichen elliptischen Stil“ der ausgezeichneten Autorin. Trotz diverser Störgeräusche durch Küchengeräte.
Diese Küchengeräte schienen jedoch weniger Ärgernis hervorzurufen als besagte Moderatorin auf der Heimalm, die sich in den Augen des Publikums keinen günstigen Zeitpunkt für den Dreh ihres Beitrags zu den Literaturtagen ausgesucht hatte. Zugegebenermaßen war es für die Zuhörer im hinteren Bereich etwas irritierend, gleichzeitig ihren mehrmals begonnenen Fernsehbeitrag und die Eröffnungsrede von Manfred Mittermayer zu hören. Dies war jedoch zu Beginn der Veranstaltung nicht die einzige Schwierigkeit. Auch einen Sitzplatz zu ergattern war nicht so einfach. Schulter an Schulter drängten sich schließlich die zahlreichen Gäste in der gemütlichen Almhütte, die mit an der Decke befestigten Ästen dekoriert war, von denen Buchseiten herabhingen. Trotz oder gerade wegen des kuscheligen Gedränges fühlten sich die Literaturliebhaber augenscheinlich wohl und das auch zurecht. „Der Abend hier auf der Heimalm gehört zur Identität der Rauriser Literaturtage“, bemerkte Mittermayer und stellte die drei Autorinnen vor: Nora Bossong, Angelika Reitzer und die Schweizerin Marie-Jeanne Urech.
Den Anfang machte Nora Bossong mit ihrem Roman „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“, mit dem sie die Geschichte des Familienunternehmens Tietjen&Söhne erzählt, die zeigt, „was Menschen mit Macht machen, die diese überhaupt nicht haben wollen“. Witzig und sympathisch erzählte sie von Kurt Tietjens Flucht vor der „kuscheligen Frottéeware“ seiner Firma und dass man sich als Erbe der Verantwortung „selbst wenn man sich entzieht, nicht wirklich entziehen kann“.
Während Nora Bossong eindrücklich den „Mythos vom Konglomerat von Wirtschaft und Familienstruktur“ im Kapitalismus schilderte und Angelika Reitzer dies am Beispiel einer Familie vor und nach der Wende in der DDR zeigte, führte uns Marie-Jeanne Urech in ihrem Roman „Mein sehr lieber Herr Schönengel“ „die Welt der Wirtschaft als Zirkus vor“. In ihrem „Portrait einer Gesellschaft, in der Geld alles rechtfertigt“, und die Frage nach einem Bleistiftspitzer als „Rebellion“ gewertet wird, kritisiert sie durch Übersteigerung das von Männern dominierte kapitalistische System. Besonderes Highlight dieser Lesung war der Wechsel zwischen französischer und deutscher Sprache. Auch das Gespräch im Anschluss für das Publikum war interessant. Die Gäste erfuhren unter anderem, dass die verzweifelte Suche nach einem Bleistiftspitzer, die im Roman schlussendlich die gesamte Firma zum Einsturz bringt, an eine wahre Begebenheit anknüpft – nämlich an die Erfahrungen eines Bekannten, der von seiner Firma keinen Bleistiftspitzer zur Verfügung gestellt bekam und sich gezwungen sah, Bleistifte aus dem Kundenbereich zu stibitzen.
Nach der anschaulichen Darstellung von Marie-Jeanne Urech, dass wir im Grunde alle „nur Rädchen in der Firma“ sind, begannen sich kurz nach 21 Uhr auch die Rädchen der Gondelbahn wieder zu drehen. War bereits die Auffahrt zur Alm mit der unglaublichen Aussicht auf schneebedeckte Berge ein besonderes Erlebnis gewesen, so bot sich den Literaturbegeisterten bei der Fahrt durch die Finsternis zurück ins Tal ein stimmungsvoller Übergang zum anschließenden Gespräch über Literatur im Rauriser Hof.