Ein liebender Wolkenkuckuck
IM WORTLAUT / LAUDATIO AUF JULIAN SCHUTTING
08/11/13 Gestern Donnerstag (7.11.) wurde im Rahmen der Eröffnung der Salzburger Buchwoche der Buchpreis der Salzburger Wirtschaft 2013 an Julian Schutting verliehen. Die Laudatio auf Julian Schutting hielt Jochen Jung.
Von Jochen Jung
Unter welchem Blickwinkel auch immer man sich Julian Schutting und seiner Literatur nähert: Der erste Eindruck – und nicht nur der erste – wird sein: er ist anders. Auf den handelsüblichen Listen kommt er nicht vor, so wenig wie in dem aktuellen Rumor des Literaturbetriebs. Wohl aber in jeder Literaturgeschichte.
Geboren wurde er und, was ja in allen Biografien das Wichtigere ist, aufgewachsen ist er in Amstetten, einer jener unprominenten österreichischen Städte, die es in unserer Wahrnehmung über die Tatsache, dass sie einen Bahnhof haben, nicht hinausgebracht haben. Das wache Kind hat später über den Vater und die Mutter und damit über die Welt, in der er aufwuchs, zwei seiner eindrücklichsten Bücher geschrieben (wie er immer dann um so besser schrieb, je bedeutender, wie Goethe gesagt hätte, und je wider- und selbständiger sein inhaltlicher Gegenstand war). Er hat beiden kein Denkmal gesetzt, ihnen aber mit kritischer Empathie Geltung gegeben, wo bei er vor allem im Vater-Buch und dort nicht zum ersten oder letzten Mal gezeigt hat, dass er auch politisch und historisch eindeutig Position bezieht.
Als ich ihn zum ersten Mal sah, war ich noch Student in München, und es war eine Verlagspräsentation in dem angesagten Schwabinger Lokal ‚Meine Schwester und ich‘, wo er, moderiert von der Lektorin Gertrud Frank, von der ich nicht ahnen konnte, dass sie einmal meine Vorgängerin gewesen sein könnte und deren Autorenaquisitation ich später so viel zu verdanken hatte, wo er also zusammen mit Peter Rosei und H.C. Artmann den Residenz Verlag vertrat, der gerade dabei war, sich vom Geheimtipp zur ersten Adresse Österreichs zu mausern. Schutting war schon damals sehr anders, sehr in sich und ganz ohne den leutseligen Witz und die Bühnenpräsenz HCs aber auch ohne die Jungstarattitüde Peter Roseis. Aber auch in seiner Zurückhaltung war etwas sehr Selbstbewusstes zu spüren: die klare Syntax seiner die Vielseitigkeit der Welt spiegelnden Sätze zeigte zudem eine Art von musikalischer Intelligenz, die ebenso individuell war, wie sie klar machte, dass das keine Bestsellerliteratur war, ja es nicht einmal sein wollte.
Wir haben dann schon bald darauf so manches Buch von ihm zusammen auf den Weg gebracht, wobei ich immer noch leicht erröten könnte, wenn ich an die Rigorosität und Unduldsamkeit denke, mit der ich einigen seiner stilistischen Eigenwilligkeiten gegenüberstand und so manchem Text den Eingang in ein Buch verwehrte. Er war von Beginn an anders, und natürlich ist das auch für einen Lektor eine starke Herausforderung. Heute bin ich seinen Texten gegenüber einer der Geduldigsten, und das liegt nicht zuletzt an der staunenswerten Konsequenz seiner literarischen Arbeit. Ein Text von Julian Schutting gibt sich immer sehr rasch als einer von Julian Schutting zu erkennen, er ist unverwechselbar, und das hat mit seiner Hochachtung und seinem Respekt vor der deutschen Sprache zu tun. Für ihn ist die Sprache weder Blaupapier – falls man noch weiß, was das war – zum Kopieren der sogenannten Wirklichkeit noch ein Spielzeug oder ein Satz von Bauklötzen für selbstver- oder begnügtes Basteln (wenngleich er auch so etwas ausprobiert hat). Vielmehr bereitet es ihm großes Vergnügen, sich den Regeln, ja Gesetzmäßigkeiten der Sprache zu unterwerfen und sich derart in ihr aufgehoben zu fühlen. Von welchem Dichter, wenn nicht ihm war ein Gedicht über den Konjunktiv zu erwarten?! Der Konjunktiv als Möglichkeitsform liefert auch das Grundmuster für die formale und imaginative Phantasie Julian Schuttings: ein Ding, eine Geste kann immer dies, aber auch das bedeuten, die Welt lässt sich so, aber auch so sehen. Die Sache kommt von außen, die Bedeutung von innen, und die Sprache, wenn sie genau ist, wenn sie stimmt, verbindet beides zum Wahren und, wenn es glückt, Schönem. Und bei Schutting glückt es sehr oft, weil bei ihm die Schönheit aus der Genauigkeit erwächst und die Bedeutung aus der Empfindung. Das ist die Grundstruktur der romantischen Dichtung, die den Indikativ konjunktiviert hat, und ich bin überzeugt, dass der Romantiker Julian Schutting die Devise des Novalis „Die Welt muss romantisiert werden“ unterschreiben würde. Es macht angesichts der Literatur unseres Dichters Sinn, Novalis‘ Blütenblatt ganz zu zitieren: „Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung. Das niedere Selbst wird mit einem besseren Selbst in dieser Operation identifiziert. (…) In dem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“
Schutting, der sich ja in allem literarischen Gattungen erfolgreich bewegt und ausgezeichnet hat, ist vor allem eins geworden: ein Dichter der Liebe: Ich halte Julian Schutting für den größten Troubadour und Minnesänger der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Kaum einer hat wie er verstanden, dass die großen Gefühle ihre Lebendigkeit nicht in ihrer Behauptung, sondern in den kleinen Gesten und Zeichen finden, und ebenso, dass das Glück der Liebeserwiderung immer auch der Gefahr der Verweigerung, des Entzugs, des Missverständnisses ausgeliefert ist. Nach Goethe und Kleist ist Schutting der Meister des „Ach“. Er weiß, dass die Tränen des Glücks von den Tränen der Kümmernis und der Betrübnis nicht immer zu unterscheiden sind. Nicht allein das Geliebt-Werden, sondern vor allem das Lieben selbst kann diese Tränen zeitweise trocknen. Und, wir ergänzen, das darüber Schreiben. Schutting ist ein begnadeter Erotiker, der mittels Satzzeichen und den von diesen gehaltenen grammatikalischen Cola Netze auswirft, mit denen er einfängt, wovon das liebende Herz nicht lassen mag: das und vor allem die Geliebte) Mit den Mitteln der Grammatik hält er die bei allen syntaktischen Ausschweifungen immer beachtete Courtoisie dem Leser gegenüber ein, dessen Aufmerksamkeit Verlockendes zugeworfen wird, ohne dass dabei der Überblick verloren ginge.
Gebildet, wie er ist, in der Literatur sowieso, aber auch in der Musik – und da vor allem in der Oper – und dem, was man bildende Kunst nennt, zeichnet ihn nicht zuletzt, wenn nicht vor allem Herzensbildung aus. Darüber hinaus ist er ein Assoziationskünstler von Gnaden. Einem solchen Kopf fällt freilich anderes ein als all denen, die heute den Ton bestimmen, also noch einmal: Schutting ist anders. Aber wozu haben wir denn die Dichter, wenn nicht, um uns von Dingen zu reden, die wir allein nicht wahrgenommen, gedacht oder phantasiert hätten: andere Welten sollen sie uns zeigen. Kein Wunder daher, dass er auch ein idealer Reiseschriftsteller ist: Neugier und die Bereitschaft, sich überraschen zu lassen, sind in Kombination mit seinem Wissen die idealen Voraussetzungen dafür. Aber wenn ich Ihnen ein Buch ans Herz legen darf, sofern Sie die Welt dieses nicht nur heute ausgezeichneten Dichters kennenlernen wollen, dann wäre das ‚Am Schreibplatz‘: Das ist sozusagen der Gegenposition zu den Reisetexten. Da kommen Sie dem schreibenden Zeitgenossen Julian Schutting auf heitere, konkrete und konzise Weise als Wolkenkuckuck in seinem Heim näher als sonst: es ist ein ebenso persönliches wie unterhaltsames und übrigens für eine Schriftstellerexistenzselbstdarstellung erstaunlich uneitles, lehrreiches Buch.
Ja, Schutting ist anders – er ist nicht der Autor großflächiger Romane, in denen auf verschiedenen Schauplätzen mit unterschiedlichen Figuren sogenannte Probleme der gegenwärtigen Gesellschaft als Schicksal verhandelt werden, ihm genügt als Personal er selbst als derjenige, der die eigene Sensibilität, Lebens- und Leidenserfahrung nicht auf erfundene Gestalten übertragen muss, um sie darstellen zu können, was es mit den Menschen auf sich hat, und eine zweite Figur, der gegenüber er Interesse und intensive Empfindungen spürt, die Nachweis der Lebendigkeit beider ‚Helden‘ sind und damit der Erzählbarkeit der Welt überhaupt.
Schutting ist anders – er ist auch nicht der Autor, der in essayistischer Form poetologisch verpflichtend Grundsätzliches, geschweige denn Ideologisches behaupten will. Schutting ist anders – seine Gedichte sind frei aller Gefühligkeit (aber reich an Gefühlen), sie theoretisieren nicht (verspüren aber immer die Verpflichtung, die Notwendigkeit der Nachvollziehbarkeit nicht schon beim ersten Enjambement abzugeben), und sie bleiben immer konkret (sie sind voller Sinnlichkeit und Wahrnehmung realer Dinge), sie langweilen nicht ( sie wissen, dass sie von Zeile zu Zeile, von Vers also zu Vers der Leserin, dem Leser etwas zu bieten haben, das verlangt die Höflichkeit des Dichters, Einfälle, Überraschungen, Bilderreichtum, Klangmagie, Intelligenz – alles in allem: Julian Schutting entspricht nicht den Erwartungen des Literaturbetriebs, er beharrt auf seinen Idiosynkrasien, dem Individuellen, dem Schuttingschen, das macht ihn unvergleichlich, einzigartig, eben anders. Das gilt im übrigen auch für die beiden Salzburger Schutting-Verlage, also den meines geschätzten Kollegen Arno Kleibel mit seinem Otto Müller Verlag und den meinigen. Möge es noch lange so bleiben, zu unserem und Ihrem Genuss.