Wege in die Unerhörtheit
LITERATURFEST / PEYMANN / LISSMANN / HOPPE
27/05/13 „Rausch und Ekstase“ entstehen nicht nur durch mystische Erweckungserlebnisse in der Wüste. Auf dem Theater behilft man sich ganz banal durch Alkohol und Drogen, sagt Claus Peymann: Der „Theatermacher“ und die Autorin Felicitas Hoppe diskutierten mit dem Philosophen Konrad Paul Liessmann. Der Orientalist und Schriftsteller Navid Kermani entzündete Momente des Ekstatischen ganz ohne bewusstseinserweiterende Substanzen - nur mit Worten.
Von Magdalena Stieb
Einstellen könne sich die Ekstase beim Leser eines Buches dann, wenn er etwas wieder zu erkennen vermeint und dabei zugleich überrascht wird: Wiedererkennen und staunen. Einen solchen Zustand, wie ihn Jochen Jung beschrieb, vermochte der Abend im Theater im KunstQuartier beim Publikum tatsächlich auszulösen.
Dass sich ein enorm weites Feld aufspannt, wenn man Persönlichkeiten wie Peymann, Liessmann oder Hoppe Begriffe wie „Rausch“ und „Ekstase“ zur Diskussion vorwirft ist klar: Viel zu schnell verstrich die eine Stunde im Gespräch, nicht zuletzt, weil das Thema nicht nur bei Claus Peymann Einschüchterung und Respekt auslöste und Gemüt und Verstand erhitzte.
Noch vor der Gesprächsrunde entfaltete der Schriftsteller, Orientalist und Kleist-Preisträger Navid Kermani vor der ausverkauften Theatertribüne die facettenreiche Welt der literarischen Ausgestaltung von Rausch und Ekstase. Mit Lesungen aus den Romanen „Dein Name“ (2011) und „Das Buch der von Neil Young Getöteten“ (2002) zeichnete der Autor die vielgestaltigen Zustände des Außersichseins, des „Entwerdens“ - wie es beim Mystiker Meister Eckhart so schön heißt - nach.
Immer wieder wird bei Kermani ein möglicher höherer Zustand durch unmittelbare Körperlichkeit auf fesselnde, unmittelbare und feinsinnige Weise in Worte gebracht: Die höchste Fragilität des Lebens, das sich an der Schwelle befindet, empfindet der Vater in „Dein Name“, als er seine frühgeborene Tochter an seinen nackten Oberkörper legt. Zugleich wird der absolute Lärm zur völligen Stille und damit zum Ausdruck des Seins, durchströmt einen die nur scheinbare Kakophonie auf Neil Youngs Album „Arc“.
Rauschhafte Zustände sind aber nicht nur Thema, sondern auch Bedingung künstlerischen Schaffens: Dass dieser „andere Zustand“ (wie Robert Musil den Zustandes der Entgrenzung im „Mann ohne Eigenschaften“ nennt) und die Unmittelbarkeit des Erlebens nicht nur Thema, sondern eben auch Bedingung des künstlerischen Schaffens sein kann oder sein muss – darüber sprach im zweiten Teil des Abends die Diskussionsrunde, die sich um Konrad Paul Liessmann sammelte.
Rausch und Ekstase auf höchstem Reflexions-Niveau: Rausch und Ekstase sind zunächst einmal in phänomenologischer Hinsicht von einander zu unterscheiden. Dann stellen sie sich als Begriffe heraus, die in vielerlei Hinsicht paradox erscheinen: Mit ihrem Ursprung in der Mystik, verwurzelt in der islamischen, jüdischen und christlichen Religion und Kultur, erfare die Ekstase eine zunehmende Popularisierung. Dies habe die Konsequenz, dass ein Zustand, der sich ehemals durch Exklusivität auszeichnete, nicht mehr dem einzelnen, „Erleuchteten“ (Heiliger auf Säule in der Wüste, oder so) vorbehalten, sondern der Masse zugänglich ist.
Hinzu komme eine, wie es Felicitas Hoppe festhielt, dem Zeitalter der Aufklärung geschuldete Rationalisierung religiösen, ekstatischen, also vernunftfernem Erlebens: Ist es einem intellektuellen, vernunftbegabten Menschen/Künstler erlaubt, etwas „durch sich“ schreiben zu lassen? Den eigenen Willen aufzugeben, um einem höheren Willen Platz und Wirkungsmacht einzuräumen, wie es schon die islamischen Mystiker des 10. Jahrhunderts beschrieben? Und wie kann man überhaupt in einem solchen höheren Zustand kommen und verweilen? Durch Einübung, Ritualisierung, Wiederholung des Unkontrollierten?
Die Diskussion beschränkte sich aber nicht nur auf solche metaphysischen Aspekte des rauschhaften Erlebens. Man müsse, so Claus Peymann, wenn man vom „Rausch“ spreche, auch an Alkohol und Drogen denken. Gerade am Theater, so sei ganz nüchtern und pragmatisch festzuhalten, bediene man sich nicht selten ganz „weltlicher“ Rauschmittel, um sich dem Erleben und der Entgrenzung hingeben, um so den Höhepunkt der schauspielerischen Darstellung erreichen zu können.
Abgesehen von der Instrumentalisierung des Rausches im Dienste der Kunst sei der rauschhafte Zustand als Thema der Kunst allerdings gerade in Österreich häufig kommerziell verkommen: Etwa bei den Schlachtritualen und Orgien-Inszenierungen Hermann Nitschs könne man nur mehr an „peinliche kunstgewerbliche Exerzitien“ denken, so Claus Peymann. Er sieht hier die sinnentleerte Ritualisierung des Rausches.
Die Wege in die Unerhörtheit des Rausches und der Loslösung des Ichs in der Ekstase ließen, wie es Jochen Jung ankündigte, die Köpfe auf der Bühne und im Publikum rauchen. Mag ein fulminanter Ritt durch die Kultur-, Philosophie- und Literaturgeschichte auch anspruchsvoll und voraussetzungsreich sein (was von einzelnen Zuhörern wohl aufgrund von Unverständnis nur mit Unaufmerksamkeit und getuschelten Gesprächen quittiert werden konnte) – einen Besuch solch großer Köpfe in Salzburg kann man sich nicht oft genug wünschen.
Bilder: LFS/Eva Trifft