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Dem andern (k)ein Fleischhacker sein

LITERATURFEST SALZBURG / SCHREIBENDE PAARE

17/05/13 Gudrun Seidenauer und Wolfgang Wenger stellen beim Literaturfest unter dem Motto „Schreibende Paare“ ihre aktuellen Romane vor. Als zweites Autorenpaar sind Linda Stift und Johannes Gelich in Salzburg zu Gast: Sie erzählen vom gemeinsamen Alltag, ihre Vorlieben für seltsame Charaktere und dem geteilten Hang zu Scherz und Ironie.

Friederike Mayröcker und Ernst Jandl. Francis Scott und Zelda Fitzgerald. Veza und Elias Canetti. Christa und Gerhard Wolf. Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir sind einige berühmte „Schreibenden Paare“. „All diese Paare hatten, bevor sie quasi berühmt wurden, etwas gemeinsam mit uns“, sagt Linda Stift: „Sie teilten die finanzielle Unsicherheit und ständige Geldknappheit. Wenn zwei Leute künstlerisch tätig sind, ist das immer schwierig, weil ein ständiges sicheres Einkommen fehlt.“ Das empfinde sie zwar zunehmend als Belastung, „andrerseits sind wir dadurch natürlich flexibel“.

Was sie mit den genannten berühmten Paaren nicht gemeinsam hätten: „Wir sind nicht weltberühmt. Durch die geringere Fallhöhe ergeben sich viele Vorteile“, sagt Johannes Gelich. „Wir müssen einander nicht krankhaft beneiden, wir stehen untereinander nicht in einem bedrohlichen Konkurrenzverhältnis und keiner muss dem anderen einen Erfolg neiden, den es in dieser Form nicht gibt.“

422Wie stellt man sich den Alltag eines schreibenden Paares vor? Wer trägt den Mistkübel hinunter? Wer holt die Kinder vom Kindergarten. „Was die Betreuung des Kindes und den Haushalt betrifft, könnte ich mir vorstellen, dass sie bei einem Paar, das denselben Job in einem Angestelltenverhältnis hat, gleichberechtigt sein könnte. Bei uns mache ich tatsächlich mehr, weil ich vielleicht zu rasch aufgebe. Wenn ich mich vor dem Computer quäle und es geht nichts weiter, denke ich, es wäre gescheiter, aufzuhören und diese Zeit mit meinem Kind zu verbringen“, berichtet Johannes Gelich. Die Grenzen zwischen privat und beruflich seien oft schwer zu ziehen: „Ich sitze ja meistens zu Hause und schreibe (oder sollte), dann wartet aber gleichzeitig der Geschirrberg oder ein Berg Wäsche. Da bin ich zu wenig diszipliniert, ich springe dann auf und räume herum.“

Das Wort „Unterstützung“ im Zusammenhang möglichst gleichberechtigter Arbeit impliziere bereits ein hierarchisches Verständnis eines schreibenden Paares, vor allem, wenn es Kinder hat, meint Johannes Gelich: „Hier der voll arbeitende Mann, der die möglicherweise ‚auch noch’ mit Kinderarbeit belastete Autorin und Mutter ‚unterstützt’.“ Theoretisch wäre absolute Gleichberechtigung und beiderseitige kollegiale Loyalität wünschenswert, lasse sich in der Praxis aber kaum durchführen: „Bei der Frau bleibt immer mehr an Kinderarbeit hängen als beim Mann. Das ist leider die Wahrheit.“

In künstlerischer Hinsicht kommen man sich kaum in die Quere, so Stift und Gelich: Wohl berührten sich die Texte gelegentlich, prinzipiell hätten sie gänzlich unterschiedliche Arbeitsweisen. „Johannes schreibt manisch und schnell, verwirft alles wieder, schreibt neu, schreibt um, bei mir geht alles viel langsamer und zäher.“

421Sie hätten beide „eine Vorliebe für seltsame Charaktere und schräge Vögel, die sich in ihren Beziehungen und Neurosen verstricken“, sagt Linda Stift. Sie tendiere dabei „weiter ins Horrorartige, also in die totale Ausweglosigkeit“, während „seine“ Figuren oft „noch einmal davonkommen“.

Beide haben sie den Hang zu „Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung“: „Was vielleicht auch der Grund für unsere gleichmäßig verteilte Erfolglosigkeit ist, da Germanisten und Kritiker ja hierzulande Humor oft mit  mangelnder literarischer Qualität gleichsetzen.“

Apropos Qualität bzw. Qualitätskontrolle: „Bei mir ist Linda immer eine wunderbare erste Leserin, die meiner Arbeit meistens sehr wohlwollend gegenübersteht. Sie ist nicht so eine Fleischhackerin, die meinen Text zerlegt und zerschneidet, was ich, glaube ich, im umgekehrten Fall, eher bin. Wenn ich einen Fleischhacker benötige, greife ich eher auf Freunde zurück.“ Linda Stift bestätigt: „Ja, auch bei mir ist Johannes der Erstleser, er hackt tatsächlich rein, ich nehme die Kritik großteils an, nicht immer alles, aber meistens stellt sich später heraus, dass ich das, was ich nicht angenommen habe, annehmen hätte sollen.“

Viele berühmte „Schreibende Paare“ standen in einem erbarmungslosen Konkurrenzverhältnis. Schlagen sich verschiedene Verkaufszahlen auf die Beziehung? „Passiert selten“, stellt Johannes Gelich fest. In der Regel wundere man sich eher gemeinsam, „was für ein Schwachsinn wieder einmal erschienen ist und es wieder einmal in die Bestsellerlisten geschafft hat“. Linda Stift bestätigt: „Stift: Es hält sich tatsächlich die Waage. Vielleicht fragen Sie uns das in ein paar Jahr(zehnt)en!“

Gemeinsam ein Buch zu schreiben sei tatsächlich ein Thema, konkret arbeiten Stift und Gelich gerade an einem Kinderbuch, „Der Hase Plemplem“. Ihm würde auch ein gemeinsamer Liebesroman gefallen, „der von zwei Seiten her auf die Mitte zugeschrieben wäre und wo wir uns in der Mitte treffen und das letzte Wort teilen könnten“, verrät Gelich. Wohingegen Stift sich mit Teamarbeit „ein bisschen schwer tue“, wie sie zugibt. „Aber das mit dem Liebesroman klingt schön, das wusste ich noch gar nicht.“ (LF/dpk-klaba)

Johannes Gelich, geboren 1969 in Salzburg, lebt in Wien. Zuletzt erschien im Haymon Verlag sein Roman „Wir sind die Lebenden“. Linda Stift, geboren 1969, lebt in Wien. Zuletzt erschien im Deuticke Verlag ihr Roman „Kein einziger Tag“

Literaturfest Salzburg: 22. bis 26. Mai - Schreibende Paare:
23. Mai, 12.30, Kaffeerösterei 220 Grad, Chiemseegasse 5: Stift/Gelich
24. Mai, 12.30, Hotel Auersperg, Auerspergstraße 61: Seidenauer/Wenger
www.literaturfest-salzburg.at
Bilder: LFS/Lionel Stift/Linda Stift/Heribert Corn/Linda Stift

 

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