Vom Schlüssel- zum Schlüsselbeinroman
LITERATURHAUS / LESUNG MARTYNOVA
12/03/13 Fast zwei Jahre ist es her, dass Olga Martynova ihren Debütroman „Sogar Papageien überleben uns“ im Literaturhaus vorgestellt hat. Jetzt ist ihr neues Buch "Mörikes Schlüsselbein" im Literaturverlag Droschl erschienen. Und die Autorin war am Montag (11.3.) wieder in Salzburg zu Gast.
Von Harald Gschwandtner
Paul Jandl, 2012 Mitglied jener Jury, die Olga Martynova in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen hatte, war es sichtlich eine Freude, Buch und Autorin dem Publikum näher zu bringen. „Mörikes Schlüsselbein“, so der Titel, ist freilich ein Roman, der sich dem allzu einfachen Nacherzählen ebenso verschließt, wie einer allzu identifikatorischen Lektüre. Das sollte freilich nicht mit hermetischer Unzugänglichkeit verwechselt werden!
Martynovas schillernder Erzählkosmos, der Motive, Geschichten, Figuren und Konstellationen aus ihrem Debütroman „Sogar Papageien überleben uns“ aufgreift und weiterentwickelt, bietet eine solche Fülle an erzählerischen Miniaturen und kleinteiligen Umwegen, dass die Orientierung schon einmal verloren gehen kann. Das macht aber nichts. Wer Ordnung in die Erzählstränge zu bringen versuchte, würde die Qualitäten des Romans verkennen.
So zeichnet Martynovas Erzählkunst – das altmodische Wort ist hier an seinem Platz – gerade eine Beiläufigkeit des Zeitgeschichtlichen aus, die ohne jene vordergründig politisch-literarische Engagiertheit auskommt, die manchen Roman zum ermüdenden historiographischen Exerzitium macht. Auf spielerischen, nicht selten von sanfter Ironie begleiteten Wegen kommt man den Verästelungen und Dynamiken weltgeschichtlicher Großereignisse oft viel näher, als durch die Faktenhuberei eines doch im Grunde überholten Realismus.
Robert Musil hat einmal die „phantastische Genauigkeit“ im Sinne der Dichtung von der biederen „pedantischen Genauigkeit“ abgehoben. Ein kanonisiertes Begriffsbesteck, mit dem sich auch an Martynovas Roman trefflich hantieren ließe: Wie präzise hier ‚Welthaltigkeit‘ und phantastische Fabulier- und Anspielungslust zu einem erzählerischen Projekt zusammengespannt werden, das nötigt Respekt ab.
Im Mittelpunkt des Romans stehen der angeblich typisch russische, weil mit dem Alkohol wohl vertraute Dichter Fjodor, der Literaturprofessor Andreas und seine Lebensgefährtin Marina, sowie Andreas’ Sohn, Moritz. Das sind zum großen Teil Figuren, die man aus dem ersten Roman kennt, wie auch die Geschichten vom Schneemenschen, von Elefanten und Papageien. Mit großem Einfallsreichtum schreibt Martynova an dem von ihr entworfenen Erzählkosmos weiter, der Liebe und Politik, Literatur, Absurdität, abgründigen Humor und Autobiographisches auf faszinierende Weise zusammenführt. Wie in „Sogar Papageien überleben uns“ ist nicht Weniges den Erfahrungen der Autorin im literarischen Feld der zu Ende gehenden und schließlich zu Grabe getragenen Sowjetunion geschuldet.
Olga Martynova ist eine vielseitige, im besten Sinne kosmopolitische Autorin. Ihre Gedichte schreibt sie in ihrer Muttersprache Russisch, Essays und Prosa verfasst die 1962 geborene Schriftstellerin auf Deutsch. Im April wird sie bei den Rauriser Literaturtagen am Lyriknachmittag aus ihrem 2012 veröffentlichten Gedichtband „Von Tschwirik und Tschwirka“ lesen. Die in Salzburg auch nicht unbekannte Elke Erb hat diesen gemeinsam mit der Autorin ins Deutsche übertragen. – Und was hat es mit Mörikes Schlüsselbein auf sich? Tja, selber lesen.