Als Kunstrichter gescheitert, als Ideengeber gefragt
DIE PROPYLÄEN / TAGUNG
21/02/13 „So vornehm, dass sie Marmor sch…“ Das sagt Mozart in Milos Formans Film „Amadeus“ über das Personal der Salieri-Opern. Nicht vornehm. Trotzdem fällt einem das (von der Stiftung Mozarteum nicht als authentisches Mozartwort belegte) Diktum ein, wenn man so richtig „klassische“ Kunstwerke betrachtet, wie Johann Wolfgang von Goethe sie als Richtschnur für die gesamte Kunst vorgesehen hatte.
Von Heidemarie Klabacher
Goethe war nicht nur ein Dichter. Er war Theatermacher und Regisseur. Er war Jurist und Staatsmann. Und er war in den Naturwissenschaften ebenso aktiv, wie in der Bildenden Kunst. Das, was Kunst ist, und was nicht, wollte Goethe in der Zeitschrift „Propyläen“ sogar ein für alle mal festlegen. Doch den Malern und Bildhauern, den Kunstkäufern und Kunstsammlern war der um 1800 noch gar nicht besonders „Alte Goethe“ schnurz egal.
Zum Glück. Die Romantik ist trotzdem gekommen. Nur zwei Jahre lang, von 1798 bis 1800, sind die „Propyläen“ erschienen. Dann ist die Zeitschrift aus Abonnentenmangel schlicht und einfach eingegangen. Goethe ist mit diesem Projekt künstlerisch und wirtschaftlich grandios gescheitert. Warum also lässt man die wenigen Bände nicht in Frieden weiter verstauben? Warum um alles in der Welt eine kommentierte Neuauflage der „Propyläen“?
„Klassizismus in Aktion“ heißt eine wissenschaftliche Tagung, die heute Donnerstag (21.2.) auf der Edmundsburg begonnen hat, und bis Samstag (23.2.) „Neue Perspektiven auf Goethes Propyläen“ eröffnen will.
„Propyläen“ heißt der monumentale Bau um den Eingang hinauf zur Akropolis in Athen. Tatsächlich wollte Goethe eine Kunst, die ganz auf die Antike ausgerichtet ist, berichtet Daniel Ehrmann vom Fachbereich Germanistik, Mitorganisator der Tagung „Klassizismus in Aktion“ und Mitarbeiter der kommentierten Proypläen-Neuedition.
Im Gespräch mit DrehPunktKultur beschreibt Daniel Ehrmann das ehrgeizige Zeitschriftenprojekt Goethes: „Das Interessante daran ist, dass die Propyläen einen sehr kunstpraktischen Focus gehabt haben.“ Es sei Goethe immer darum gegangen, Beiträge zu veröffentlichen, die den Künstlern praktischen Nutzen bringen konnten. Der Schweizer Johann Heinrich Meyer - „Kunscht-Meyer“ genannt – war der Experte, auf den Goethe sich in kunsthistorischen Fragen berufen hat. Einzelne Beiträge lieferten Schiller oder Wilhelm und Caroline von Humboldt, die meisten schrieb Meyer.
„Dem Künstler darf gerade das nicht gefallen, was den Zeitgenossen gefällt. Wenn der Künstler ein gutes Kunstwerk machen will, muss er sich an überzeitliche Maxime und Produktionskategorien halten, die aus der Antike abgeleitet sind.“ So fasst Daniel Ehrmann den ein wenig krude anmutenden Anspruch zusammen. Goethe scheint dabei außerordentlich pragmatisch gewesen zu sein. Er war etwa der Meinung, dass der Gegenstand/das Motiv eines Kunstwerkes allein schon wichtig ist für das künstlerische Ergebnis. Er hat kurzerhand die Gegenstände eingeteilt in solche, die für die Kunst „vorteilhaft“, „widerstrebend“ oder „gleichgültig“ sind.
Um seine ästhetischen Vorstellungen unter die Künstler zu bringen, hat Goethe ab 1799 in den Propyläen ein Preisausschreiben veranstaltet, erzählt Daniel Ehrmann. Gefragt waren Zeichnungen oder Skulptur-Entwürfe. Zwei Themen, meist aus der „Ilias“ oder der „Odyssee“, wurden pro Preisausschreiben gestellt: ein „leidenschaftlich-pathetisches“ und ein „sentimentales“, wie etwa der Tod eines Helden, der den belagerten Trojanern zu Hilfe kommt, oder der Abschied Hektors von Andromache.
Klare Konturen, klassizistischer Zeichenstil, der die Linie betont und die Idee deutlich macht, seien die wichtigsten Kriterien gewesen. „Die zeitgenössische Kunst im 18. Jahrhundert war in die Krise gekommen. Man konnte weder direkt an die Antike anknüpfen, noch an Raffael“, so Daniel Ehrmann. „Man versuchte also eine praktische Kunsttheorie – und ist mit diesem fast überzogenen Anspruch an Kunst natürlich grandios gescheitert.“ Tatsächlich hätten die Herausgeber selbst nicht wirklich genau formulieren können, was man eigentlich von den Künstlern außer „Klassizität“ genau erwarte. Im Jahr 1800, nach nur zwei Jahren, wurden die „Propyläen“ jedenfalls eingestellt.
Trotz wirtschaftlicher Verluste stand der Verleger Cotta am Ende als Gewinner da: „Es war ein strategischer Schachzug! Goethe hat seine Werke ab diesem Zeitpunkt bei ihm veröffentlicht.“ Und als Dichter ist Goethe ja nie gescheitert. Einen der letzten Preise aus dem Preisausschreiben hat übrigens Caspar David Friedrich erhalten…
Übersetzungen, Beschreibungen und Analysen neuester Kunstwerke, kunstgeschichtliche Themen (etwa das Schaffen Raffaels im Vatikan), altertumswissenschaftliche und archäologische Fragen, neue Restaurierungsverfahren, aber auch neueste Darstellungsmedien, wie ein um 1800 neues Holzschnittverfahren aus England, wurden in den „Propyläen“ besprochen. Künstler, aber auch Kunstliebhaber, -sammler und -händler waren als Zielgruppe vorgesehen.
Die Offenheit, auf neueste Entwicklungen in der Szene einzugehen, und zugleich der erstarrte nach rückwärts gerichtete Anspruch an die Künstler fallen heute besonders auf: „Schon damals ging die Kunst erste Schritte in Richtung Abstraktion. Goethe und Meyer haben das gespürt. Sie spürten, dass da ein neuer Weg unwiderruflich eingeschlagen wird. Sie wollten die Kunst noch mal in die richtige Richtung lenken.“ Sogar einen Lehrplan für Kunstschulen habe man entwickelt. Die Angst vor dem Neuen muss groß gewesen sein.
Goethe scheint versucht zu haben, etwas zu bewahren und festschreiben, was es in dieser „Reinform“ vielleicht gar nie gegeben, sich der Bewahrung und Festschreibung jedenfalls erfolgreich entzogen hat. Selbst ein Goethe ist als Kunstbewahrer gescheitert. So ein Glück. Vielleicht sollte das heutigen "Bewahrern" zu denken geben. Vielleicht sogar heutigen Kuratorinnen und Kuratoren, die sich oft mit so großer Selbstverständlichkeit als „Vermittler“ zwischen Kunstwerk und Betrachter, oft sogar zwischen Künstler und Werk zu stellen scheinen.